Ein großer Sportler und die große PolitikAlexander Ovechkin im Fokus - ein Kommentar
Top-Torjäger Alexander Ovechkin steht wegen seiner Nähe Wladimir Putin in der Kritik. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Nick Wass)Rund 40 russische Eishockey-Spieler gehen ihrer Arbeit in der besten Liga der Welt nach. Aber kaum einer zieht derzeit so die Aufmerksamkeit auf sich wie Alexander Ovechkin. Zum Einen ist der russische Superstar der Washington Capitals seit zwei Tagen der drittbeste Torschütze der NHL-Geschichte. Mit einem Handgelenkschuss direkt nach einem Bullygewinn netzte er beim 4:3-Heimsieg gegen die New York Islanders zum 767. Mal ein. Damit überholte er Jaromir Jagr, der dem wohl besten Torjäger der modernen Ära auch sogleich per Social Media gratulierte: "Mach weiter so, denn wer weiß, vielleicht komme ich eines Tages in die NHL zurück!" In seinem zarten Alter von 50 Jahren wohl eher unwahrscheinlich, aber wenn es einer schafft, dann die ewige Nummer 68.
Die 801 Tore von Gordie Howe könnte "Ovi" bereits in der nächsten Spielzeit knacken, selbst die 894 Treffer von Wayne Gretzky sind nicht völlig außer Reichweite, wenn er gesund bleibt und die Scoring-Maschine so weiterläuft wie bisher. Vor dieser sportlichen Leistung muss man den Hut ziehen, denn das sind Werte, die bei der heutigen Leistungsdichte in der NHL unerreichbar zu sein schienen.
Die politische Weltlage macht die Sache aber etwas komplizierter: Mit dem Krieg in der Ukraine hat sich vieles verändert. Plötzlich wird die Nähe Ovechkins zu Russlands Präsident Wladimir Putin zu einem Problem für ihn. Denn nicht wenige fordern, dass er sich von Putin distanziert und den Krieg verurteilt. Das hat Ovechkin aber bisher nur in einer eher wachsweichen Form getan: "Bitte kein Krieg!" Sein Profilbild bei Instagram zeigt ihn mit dem Kreml-Chef - und wurde nach dem russischen Einmarsch nicht geändert.
Ist Ovechkin also ein Feigling, der seine gewichtige Stimme nicht erheben mag? Dabei ist jedoch zu bedenken: Seine Frau und seine Kinder sind derzeit in Russland, große Teile seiner Familie leben dort - Repressionen der russischen Führung wären zu befürchten. Und es würde sie wohl sicher geben: Mehrere russische Spieleragenten berichteten dieser Tage in einem Interview, dass sie von offizieller Seite ganz klar die Anweisung bekommen haben, ihre Spieler davon abzuhalten, sich zum Krieg gegen die ukrainischen Nachbarn zu äußern. Dem haben viele Folge geleistet, etwa Pittsburghs Jevgeni Malkin.
Nikita Zadorov von den Calgary Flames hat Stellung bezogen: "NO WAR" und "STOP IT" hatte er in seinen Posts geschrieben. Artemi Panarin von den New York Rangers rief kürzlich sogar zur Unterstützung für den Oppositionellen Alexej Nawalny auf. Prompt wurde in einer staatlichen Zeitung berichtet, dass Panarin vor zehn Jahren in einer lettischen Bar eine 18-jährige Frau geschlagen haben soll. Zufall? Womöglich, vielleicht aber auch Stufe eins der Einschüchterung.
Wer also von Ovechkin - oder auch anderen bekannten russischen Persönlichkeiten - ein klares Bekenntnis fordert, sollte sich zumindest darüber im Klaren sein, dass die russische Führung so etwas ganz und gar nicht als Lappalie betrachten würde. Umso wünschenswerter wäre es.
Allerdings sollte man sich kritisch fragen, wie man selbst in einer solchen Situation agieren würde, bevor Urteile gefällt werden.