„Die Spieler sind zu gierig“ – Lockout-Ansichten eines NHL-Fans
NHL-Playoffs: Tampa Bay und Calgary spielen um den Stanley Cup
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Hinterher war das
öffentliche Bedauern groß:
Vor einer Woche
hat Commissioner Gary Bettman die NHL-Saison 2004/ 05 endgültig abgesagt.
Seitdem reißen sie nicht mehr ab die Stimmen, die vom großen Entsetzen und der
Enttäuschung künden, welche diese
Entscheidung sowohl bei Spielern als auch bei Liga-Verantwortlichen
hervorgerufen hätte. Krokodilstränen! Denn beide Seiten hatten es doch die
ganze lange Verhandlungsphase über selbst in der Hand, es nicht zum Äußersten
kommen zu lassen und einem zukunftssichernden Deal im Interesse aller
Beteiligten zuzustimmen! Doch Spielergewerkschaft und Teambesitzer – allen
voran Gewerkschaftsboss Goodenow und Commissioner Bettman – überboten sich an
Starrsinn und ließen es bis zum Schluss an der Fähigkeit zu Kompromissen
mangeln. An die kleinen Angestellten der Klubs, das Hockey und seine Fans
verschwendete offenbar keiner auch nur noch einen Gedanken. Vielen Anhängern
der NHL-Klubs weltweit ging das Hin und Her längst auf die Nerven, denn im
Mittelpunkt der Gespräche stand stets das „liebe“ Geld der Großverdiener.
Die Gefühlslage der Fans ist während des gesamten Konflikts diffizil geblieben
und ist es auch noch immer. So entschuldigte sich ein US-amerikanischer Fan im
Internet auf TSN.ca nach der Saisonabsage bei seinen kanadischen Leidensgenossen
mit den Worten: "Es tut mir leid, das waren amerikanische Entscheidungen,
die bis hierher führten!“, und sah nicht von ungefähr die wirklichen
Verlierer jenseits der nördlichen Landesgrenzen der Vereinigten Staaten. Tatsächlich
war es so, dass vor allem im Mutterland des schnellen Kufensports noch am längsten
auf eine Einigung gehofft wurde, wohingegen man sich in den USA die Zeit
inzwischen längst mit Universitätssport, Nascar-Rennen oder Basketball
vertrieb.
Die Feststellung von Ken Dryden, Torwartlegende der Montreal Canadiens und
aktuell bei den Toronto Maple Leafs in verantwortlicher Position, scheint also
durchaus berechtigt, wenn er sagt: „Die Fans können während des Lockouts
herausfinden, ob die NHL Leidenschaft oder doch nur Gewohnheit ist“.
Einer, der diese
Frage ohne langes Überlegen und stehenden Fußes beantworten könnte, ist John
Ezekiel. Obwohl in Calgary lebend ist er glühender Fan der Montreal Canadiens
und frönt seit seinem dritten Lebensjahr seinem Hobby Eishockey. Wie Millionen
anderer Fans muss John derzeit ohne NHL-Hockey auskommen. Er äußerte sich
gegenüber Hockeyweb zum Thema Lockout:
Hockeyweb:
Welche Rolle spielt Eishockey in Deinem Leben, wie wichtig ist es Dir?
John:
Eishockey ist mein Lieblingssport, aber während des Lockouts muss ich mich halt
mit anderen Dingen beschäftigen.
John, wie oft siehst Du normaler Weise NHL-Spiele live im Stadion?
Leider
höchstens einmal im Monat.
Besuchst
Du ausschließlich Spiele Deines Lieblingsteams oder auch die von Minor
League-Mannschaften? Welche Teams sind das?
Ab
und zu schaue ich hier in Calgary bei den Spielen der Hitmen aus der Western
Hockey League vorbei.
Ab
wann warst Du Dir sicher, dass der Lockout kommen würde?
Wirklich
geglaubt habe ich es erst am 15. September, als ihn NHL-Commissioner Gary
Bettman verkündete.
Für wie wahrscheinlich hast Du es gehalten, dass die Fronten so sehr verhärtet
sein könnten, sich die Verhandlungen so lange hinziehen, am Ende scheitern und
wie nun verkündet überhaupt keine Saison stattfinden würde?
Irgendwie
hatte ich im Gefühl, dass beide Seiten nicht zu einem Kompromiss bereit sein
werden. Von Verhandlungsrunde zu Verhandlungsrunde wurde das immer deutlicher.
Die Befürchtung lag dann schon nahe, dass die komplette Saison abgesagt würde.
John,
erscheint Dir die Forderung der Team-Besitzer nach einem Salary Cap wirklich
berechtigt? Verlieren sie so viel Geld, wie sie angeben?
Ich
denke, die Besitzer brauchen den Salary Cap. Viele Teams machen Verluste, wie
viel genau weiß ich im einzelnen aber nicht.
Kannst
Du die ablehnende Haltung der Spieler gegenüber einer Gehaltsobergrenze
verstehen? Oder sind sie nur geldgierig?
Ich
meine schon, dass die Spieler zu gierig sind.
Glaubst
Du, dass das Hockey durch den Lockout einen dauerhaften Imageschaden davon trägt?
Wenn ja, wie wird er zu reparieren sein?
Natürlich,
der Lockout schadet der Liga und dem Hockey! Nach der Wiederaufnahme des
Spielbetriebs könnten niedrigere Ticketpreise den Schaden zumindest ein wenig
begrenzen und vor allem die Fans etwas versöhnen.
Würdest
Du persönlich NHL.PA-Boss Bob Goodenow und NHL-Comissioner Gary Bettman für
die derzeitige Situation verantwortlich machen? Sollten sie ihren Hut nehmen und
gehen?
Beide
müssen Kompromisse machen! Ich denke, sie sollten ihren Job behalten, wenn die
Leute, für die sie arbeiten, sie weiterhin wollen.
Sind
in der Vergangenheit Fehler begangen worden, die zur jetzigen Situation führten
– welche waren das? War zum Beispiel die Expansion der Liga solch ein Fehler?
Die
„salary arbitration“ (die Festlegung des Gehaltes durch ein unabhängiges
Schiedsgericht, nachdem der Vertrag eines Spielers auslief, der Spieler jedoch
nicht den Status eines „unregistered free agents“ erreicht –Anm. d.
Autoren) orientierte sich zu sehr am Interesse der Spieler, so fielen jedenfalls
oft die Schlichtersprüche aus. Außerdem denke ich, dass die Expansion der NHL
zu weit ging und dass es zu viele Teams gibt.
Viele
NHL-Cracks wechselten wegen des Lockouts inzwischen nach Europa oder in Minor
Leagues und spielen dort für verhältnismäßig wenig Geld. Was hältst Du
davon?
Ich
bin der Meinung, die NHL-Profis sollten anderen Spielern nicht den Job
wegnehmen.
Hast
Du Dich vorher schon für europäisches Hockey interessiert oder erst seit des
Lockouts? Wie schätzt Du das europäische Hockey ein und würdest Du gern mehr
darüber erfahren?
Das
europäische Eishockey beobachte ich schon seit vielen Jahren und ich würde
sehr gern mehr darüber erfahren. Ich weiß, dass in der Schweiz und in
Deutschland gut gezahlt wird, denke aber, dass Schweden die stärkste Liga hat.
Wenn
Du neutraler Berater wärst, welchen Vorschlag zur Lösung des Problems zwischen
Besitzern und Spielern würdest Du beiden Seiten unterbreiten?
Ich
würde den Spielern nahe legen einen Salary Cap zu akzeptieren. Als
Gegenleistung wäre ich dafür, dass Spieler nach dem Auslaufen eines Vertrages
automatisch Free Agent werden, wie das in Europa üblich ist.
Zum Schluss,John: Was wäre für Dich als Hockeyfan Dein größter Wunsch für
die Zukunft?
Wünschen?
Nun, ich wünsche mir, dass NHL und NHL.PA mit ihrer Gier aufhören und auch mal
an die Fans denken. Es sollte zum Beispiel über erschwinglichere
Eintrittspreise nachgedacht werden, so dass es sich jeder leisten könnte, öfter
NHL-Spiele zu besuchen – natürlich auch ich!
Vielen
Dank, John, und Dir trotzdem weiterhin eine gute Zeit!
(Matthias
Eckart/ Mike Zastrow)