Das Wunder der Vegas Golden Knights brauchte 547 TageDie unglaubliche Entwicklung eines Expansion-Teams
Die "Burg" der Vegas Golden Knights gehört in der T-Mobile-Arena zu jeder Pre-Game-Show. Typisch Las Vegas eben. (Foto: dpa/picture alliance/newscom)Zum einen das deutsche Nationalteam, das sich im Februar bei den Olympischen Winterspielen mit Ruhm förmlich übergoss und mit der Silbermedaille, gefühlt war es ja fast Gold, eine absolute Sensation erbrachte. Des weiteren die Schweizer Nationalmannschaft, die vor zwei Wochen, ebenso hauchdünn wie Deutschland, diesmal aber am WM-Gold vorbeischlitterte.
Die Nummer drei in dieser schon fast unheimlichen Serie sind die Vegas Golden Knights. Das Sensationsteam steht erstmalig für den nordamerikanischen Profisport – und damit sind alle großen Sportarten gemeint wie American Football, Baseball, Basketball und natürlich Eishockey – vor dem größten Triumpf, den ein Neuling erringen kann, sofort die nationale Meisterschaft zu erringen. Wie konnte es dazu kommen?
Es gab eigentlich zwei Daten, die für das „Wunder von Vegas“ verantwortlich sind. Fangen wir also chronologisch an.
Es begann an einem Herbsttag. Genau am 28. November 2016. Eine schwache Herbstsonne schaffte mal gerade 15 Grad. Kein eishockeybegeisterter Mensch, schon gar nicht die NHL-Fans des Landes dachten daran, dass ausgerechnet am Abend dieses Tages eine Geschichte beginnt, die genau 547 Tage später zu einer großen Überraschung wird.
An diesem 28. November spielen die Florida Panthers bei den Carolina Hurricanes. Die Mannschaft, um die es in diesem Fall geht, sind die Panther und deren Saisonstart war befriedigend mit elf Siegen und neun Niederlagen. Nur einer störte sich daran und das war Panthers-Generalmanager Tom Rowe. Dieser hatte wohl andere Maßstäbe und als das Spiel beendet war, hatte sich seine Laune komplett verfinstert, denn Carolina hatte 3:2 gewonnen.
So weit so gut, aber Rowe war jetzt nicht mehr zu bremsen und setzte seinen Headcoach Gerard Gallant plus den Assistenten auf die Straße und das im wahrsten Sinne des Wortes. Beide mussten den Rückweg mit dem Taxi von Carolina nach Miami zurücklegen, bei 1300 Kilometer Strecke keine billige Fahrt, während die Spieler bequem nach Hause flogen. Damit war Gallant (673 NHL-Spiele als Spieler und mehr als 600 NHL-Spiele als Head- und Assistantcoach, u.a. in Montreal, New York Islanders, Columbus und schließlich Florida) arbeitslos und somit, neun Monate später, frei für den Neuling aus Nevada.
In der Zwischenzeit wurde Vegas-Mannschaftseigner William Foley von der NHL zur Kasse gebeten. Foley, 74-jähriger Investor aus Texas, hatte sich erst für den Kauf des NFL-Teams Jacksonville Jaguars interessiert, wurde dort ausgestochen und interessierte sich von da an für den NHL-Expansionsort in der Wüste Nevadas. Die Eintrittskarte für die NHL-Welt kostete zum damaligen Zeitpunkt 500 Mio. Dollar, mittlerweile wären es übrigens 750 Mio. Dollar. Foley wagte das Experiment, obwohl das Stichwort „Hochrisiko“ passend gewesen wäre. Bereits bis 2014 hatte es Eishockey in Las Vegas gegeben, aber die einheimischen Wranglers, die 2008 und 2012 das ECHL-Finale erreicht hatten, wurden schließlich im Januar 2015 aufgelöst. Von 1993 bis 1999 existierten die Las Vegas Thunder als Mitglieder der International Hockey League, damals neben der AHL die Top-Adresse im Minor-League-System Nordamerikas.
Schließlich begann der Mannschaftsaufbau. Kenner der Szenerie wissen das, aber man muss es sich immer wieder vor Augen führen. Neulinge erhalten das, was alle Vereine aussortieren. Praktisch ein Einkauf auf dem Ramschmarkt beim Sommerschlussverkauf. Alle Mannschaften müssen Spieler nennen, die sie dem Neuling anbieten würden, können aber im gleichen Atemzug elf Spieler nennen, die sie schützen, d.h. diese kann der Neuling nicht auswählen.
Also gingen Headcoach Gallant und sein General Manager George McPhee auf Einkaufstour, nachdem sie den Junior-Draft Ende Juni bereits mitmachen durften. Besitzer Foley bemerkte im August 2017: „Hoffentlich verlieren wir nicht zu viele Spiele mit fünf und mehr Toren Unterschied.“ Und Coach Gallant meinte: „Wir sind ein Expansionsteam. Jede Mannschaft ist besser besetzt als wir.“ Sätze, die nicht gerade motivierend wirkten und prompt setzten die Buchmacher noch einen drauf. Die Wettquote für die Golden Knights fiel auf den maximalen Wert von 500:1. Auch wenn es in vielen Städten viele Verrückte gibt, in Las Vegas ist vermutlich dieser Wert noch etwas höher anzusiedeln. Und diese Spezies Mensch zockte, setzte 100 bis 200 Dollar auf einen Finaleinzug oder gar auf die Meisterschaft der Golden Knights. Ein Wettanbieter: „Wir haben gedacht, die spinnen. Das wird leicht verdientes Geld.“ Im Augenblick lacht bei den Wettfirmen niemand mehr und man befürchtet in der Branche den Supergau, wenn die Knights den Titel holen.
Auf alle Fälle machte das Gespann Gallant/McPhee einen perfekten Job und hatte auch noch Glück. Einige der heutigen Leistungsträger wurden regelrecht von ihren vorherigen Arbeitgebern verjagt. Ein gutes Beispiel sind die Columbus Blue Jackets, die den Schweden William Karlsson abgaben. Der 25-Jährige hatte im Vorjahr in 86 Spielen 28 Punkte geholt. Karlsson erhielt in Vegas einen Ein-Jahres-Vertrag mit einer Millionen Dollar Gehalt. Der Schwede dankte das Vertrauen mit 93 Punkten in 99 Spielen und sollte sich über einen besser dotierten Vertrag keine Gedanken machen. Ein weiteres Beispiel ist Jonathan Marchessault. Der 27-jährige Kanadier kam aus Florida, hatte dort mit 30 Toren in 75 Spielen geglänzt und wurde trotzdem aussortiert. Aktuell liegt er bei 94 Punkten nach 99 Spielen. Und das für nur 750.000 Dollar. Ein Schnäppchen für NHL-Verhältnisse, wobei sein Vertrag sogar noch bis 2024 gilt. Da sollte eine Nachbesserung drin sein! Auch David Perron, aus St. Louis gekommen, konnte seinen alten Rekord von 57 Punkten (2014 in Edmonton) mit aktuell 74 Punkten pulverisieren und so weiter. Fast jeder Akteur hat sich deutlich verbessert.
Der wichtigste Job wird jedoch mit am besten bezahlt. Nach neun Jahren Pittsburgh und dem Gewinn von drei Stanley-Cups musste Star-Keeper Marc-Andre Fleury ins 3.500 Kilometer entfernte Las Vegas ziehen. Und dieser Trip hat sich gelohnt. Fleury, eh schon von der Konkurrenz gefürchtet, zieht dieser reihenweise die Zähne. Mit einer Fangquote von 94 Prozent in den Play-offs ist er erster Kandidat für gleich mehrere NHL-Awards.
Punkt zwei aber, warum die Vegas Golden Knights so erfolgreich sind, ist der Zusammenhalt der Mannschaft. Dazu Larry Huras, früherer Trainer u.a. des ERC Ingolstadt: „Ich sehe Männer, die verdammt sauer sind, dass ihnen bei ihren vorherigen Arbeitgebern die Wertschätzung verweigert wurde. Dieser Drang, es allen zu beweisen, treibt sie an.“
Eine weitere Motivation hat mit Eishockey eigentlich nichts zu tun. Am 1. Oktober 2017 erschütterte der Amoklauf von Stephen Paddock die USA. Der Attentäter verschanzte sich in einem Zimmer des „Mandalay Bay Resorts“ in Las Vegas und schoss auf die Besucher eines Countrymusik-Festivals. 58 Menschen fielen ihm zum Opfer.
Neun Tage nach dem Amoklauf hatten die Golden Knights das erste Heimspiel ihrer Klubgeschichte. Was als Riesenparty geplant war, wie es der Glitzermetropole in der Wüste Nevadas angemessen gewesen wäre, wurde zu einem stillen Gedenken an die 58 Opfer. Es war der traurige Beginn einer Saison, die sich zu einem Eishockey-Märchen entwickelte.
Fleury erklärt: „Wir wussten, wenn wir den Menschen ein bisschen Ablenkung bieten können, ihnen ein Team geben können, auf das sie stolz sein können, dann können wir damit ein kleines bisschen Linderung geben.“ Die Spieler-Nr. 58 ist übrigens bei den Vegas Golden Knights in Gedenken an die Opfer gesperrt. Eine nachahmenswerte Tat.
Der Gewinn des Stanley Cups wäre ein riesiges Happy End.