Franz Reindl: „Da hat’s mich voll hingehauen“Der DEB-Präsident im Hockeyweb-Interview

Bei der Medaillenübergabe umarmte DEB-Präsident Franz Reindl jeden einzelnen Spieler - hier Kapitän Marcel Goc. (Foto: dpa/picture alliance/Sven Simon)Bei der Medaillenübergabe umarmte DEB-Präsident Franz Reindl jeden einzelnen Spieler - hier Kapitän Marcel Goc. (Foto: dpa/picture alliance/Sven Simon)
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Herr Reindl, wie lange hat die Party im Deutschen Haus in Pyeongchang gedauert? Die Fernsehbilder haben gezeigt, dass die Laune der Sportler großartig war.

Das kann ich auch nur vom Hörensagen berichten. Das ist eine Sache für die Spieler, daher habe ich mich dort zurückgezogen. Aber wie ich hörte, haben wir auch dort gewonnen. (lacht) Das ganze Erlebnis war allerdings sehr emotional, die Leistung phänomenal. In elf Tagen haben unsere Jungs sieben Spiele bestritten, sind viermal in die Overtime gegangen. Das war seelisch, mental und körperlich eine starke Vorstellung. Und die Spieler haben etwas geschaffen, das bleibt.

Hand auf Herz: Als die Russen den Siegtreffer in der Verlängerung geschossen haben, überwog da zunächst der Schmerz oder doch schon der Stolz auf das Geleistete?

Ich muss zugeben, dazu bin ich noch viel zu sehr Spieler. Jeder, der mich kennt, der in solchen Momenten neben mir sitzt, weiß, dass ich voll mitgehe, dass es dann auch schonmal einen Check gibt. Ich bin wirklich tief dabei – und da ist ein solcher Gegentreffer ein Stich ins Herz. Das ist nun einmal so im Sport. Aber dann kam schnell die Erkenntnis, wie großartig auch dieses Spiel war. Die Jungs waren ganz nah dran an Gold! Gegen Russland! Wenn man diesen Willen gesehen hat, drückt einem das die Tränen in die Augen. Doch es ist mehr als das. Um so etwas zu leisten, braucht man die körperlichen, läuferischen und taktischen Fähigkeiten. Was wir alles erlebt haben! Der Moment, als Jonas Müller das 3:2 gegen Russland schießt – da hat’s mich voll hingehauen. Das habe ich immer noch im Kopf. Oder wie Patrick Reimer sich beim Siegtreffer gegen Schweden durchsetzt. Eine Maschine!

Apropos Jonas Müller. Der Junge hat herzzerreißend geschluchzt, als das Finale vorbei war. War viel Aufbauarbeit nötig?

Das haben seine Mitspieler hervorragend übernommen. Bei der Siegerehrung habe ich jeden einzelnen Spieler in den Arm genommen. Zuvor hatte schon unser Bundestrainer Marco Sturm die Jungs daran erinnert, was sie da geleistet haben. Nach 30 Minuten überwog die pure Freude über das Geleistete. Das hat man den Jungs aber auch angesehen.

Was dachten Sie, als Sie erfahren haben, dass die Spieler ihre WhatsApp-Gruppe vor dem Turnier „Mission Gold“ genannt haben?

Da musste ich schmunzeln. Aber ich habe gleich zu Beginn gesagt, dass die Spieler dieses Funkeln in den Augen hatten. Zwar ging das Turnier mit der Niederlage gegen Finnland los, aber schon das 0:1 gegen Schweden war ein starkes Spiel, in dem wir einfach kein Glück hatten. Ich habe nie geglaubt, dass so etwas möglich ist. Aber ich habe von Beginn an unsere Chance geglaubt. Du hast in jedem Spiel eine Chance.

Nach dem Turnier überwog die Freude und Anerkennung auch in anderen Ländern. Haben Sie das vor Ort wahrgenommen?

Ja! Die Anerkennung und der Respekt waren riesig. Nicht nur anderer, eher kleiner Eishockey-Nationen, die so etwas auch gerne mal schaffen wollen, sondern gerade von den großen Nationen. Und das war kein höflicher Respekt, sondern tiefer Respekt.

Als Spieler haben Sie 1976 in Innsbruck Bronze gewonnen. Kann man die beiden Mannschaften von damals und jetzt vergleichen, was den Zusammenhalt angeht und die Unterschätzung vor dem jeweiligen Turnier?

Genau in diesen Punkten sind sie wirklich vergleichbar. Der Zusammenhalt, die Unterschätzung  – das war alles ähnlich. Normalerweise gehst du in solch ein Turnier und wirst Neunter, Zehnter oder Elfter. Oder du gewinnst höchstens die Viertelfinal-Qualifikation und dann bist du Achter. Doch sportlich kann man die beiden Erfolge nicht vergleichen. Als wir 1976 Bronze gewonnen haben, war das ein Rechenexempel (damals entschied bei drei punktgleichen Teams auf den Rängen drei bis fünf die völlig ungewöhnliche Regel des Torquotienten zu Gunsten der deutschen Mannschaft; d. Red.). Beim Silbertriumph von Gangneung musste die Mannschaft einen Brocken nach dem anderen aus dem Weg räumen. Und dann dieses Finale! Ich habe schon viele Endspiele gesehen, in dem die eine Mannschaft mit Silber zufrieden war und die andere 5:1 oder 6:1 gewinnt. Auch wir waren mit Silber zufrieden – dieses Team wollte aber unbedingt mehr! Deswegen ist solch ein mitreißendes Spiel entstanden.

Dass sich Sportlerinnen und Sportler eines Landes bei Olympia gegenseitig unterstützen, ist nicht neu. Aber der Zusammenhalt im „Team D“ schien diesmal noch größer zu sein. Täuscht der Eindruck?

Nein, überhaupt nicht! Die Idee zum „Team D“ und vor allem die Umsetzung, das hat der DOSB großartig gemacht. Die Nachfrage war aber auch riesig. Wir hatten bei jedem Spiel über 100 Sportlerinnen und Sportler aus der deutschen Olympia-Mannschaft im Stadion. Ich musste zusätzlich beim internationalen Verband alle Hebel in Bewegung setzen, dass die zusätzlichen Anfragen befriedigt werden konnten. Wir hatten auch Edelfans wie Alfons Hörmann, Britta Heidemann, Maria Riesch oder Claudia Pechstein. Dann noch zu sehen, dass unsere Eishockey-Nationalmannschaft einen TV-Marktanteil von über 52 Prozent erreicht, ist großartig. Das hat dem Eishockey-Sport wirklich gutgetan. Da gab es in Deutschland Frühstückpartys, Jungs schreiben sich Namen unserer Spieler aufs Trikot.

Wie geht es nun weiter? In nicht allzu ferner Zukunft geht es schon mit der Weltmeisterschaft in Dänemark weiter. Ändern sich durch den Erfolg Zielsetzungen?

Nein! Wir können das gut einschätzen und bleiben auf dem Boden. Wir wollen auch bei der nächsten WM das Viertelfinale erreichen. Das wird wieder nur sehr schwer zu schaffen sein. Das Turnier wird ein anderes sein. Über 100 NHL-Spieler werden in Dänemark spielen, auch einige von uns hoffentlich. Wir haben eine schwere Gruppe, starten gleich gegen den Gastgeber. Da wird uns niemand etwas schenken, nur weil wir in Pyeongchang so erfolgreich waren. Auch unser Team verändert sich. Gerrit Fauser fällt leider schon heute verletzungsbedingt aus.

Es gibt einige Talente. Könnte beispielsweise Dominik Bokk dabei sein, der in Schweden eine überragende Saison spielt?

Dominik Bokk spielt erst einmal die U-18-WM. Da werden die Trainer ihn genau ansehen, wie weit er schon ist. Bei der WM in Köln war Frederik Tiffels die große Überraschung. Diesmal Jonas Müller und einige andere. Es gibt immer einen Spieler, der uns überrascht. Jede WM geht bei null los.

Zwei Dinge gilt es zu tun: Den Erfolg zu versilbern – in Form von Merchandising, um Geld für die künftige Arbeit zu generieren. Und ihn zu vergolden, um sportlich Kapital daraus zu schlagen. Was muss nun passieren?

Wenn es um Fanartikel geht, kann ich nur sagen: Das Team um Robert Schütt hat schon viele Ideen. Auch für die Spieler ist einiges geplant – zum Beispiel, dass die Silbermedaillengewinner einen individuellen Hinweis auf dem Trikot tragen. Ohnehin waren die Merchandising-Umsätze während Olympia so groß, wie wir uns das niemals vorgestellt haben. Besonders wichtig ist aber, sportlichen Gewinn aus dem Erfolg zu ziehen. Zum Glück gibt es schon die Projekte im Rahmen von Powerplay 26, Wir sind Eishockey.de und Integration. Bei den Schnupperkursen für Kinder ist der Zulauf an Jungs, aber auch an Mädchen im Moment erfreulich groß. Wenn für jeden Verein an der Basis nur zehn Kinder mehr an unseren Sport herangeführt werden könnten, wäre das in der Masse für das deutsche Eishockey enorm.

Zum Abschluss: Was war die schönste Anekdote bei den Olympischen Winterspielen?

Da fallen mir spontan zwei Dinge ein: Zum einen hatte die Mannschaft in der Kabine eine Ehrentafel für alle Spieler und Trainer, die nicht dabei sein konnten, aber am Gesamterfolg beteiligt waren – weil sie verletzt waren oder als NHL-Spieler nicht dabei sein konnten. Das zeigt den enormen Zusammenhalt und Teamspirit. Zum anderen hatten wir zwei koreanische Betreuer, die uns als „Teamhosts“ geholfen haben. Marco Sturm hat die beiden vor jedem Spiel die Starting Six in der Kabine verkünden lassen. Und die Spieler haben jeden Namen so bejubelt, als sei gerade ein Tor gefallen. Das brachte die gewisse Lockerheit. Das von außerhalb der Kabine zu hören, war der Hammer. Emotion pur. Marco Sturm ist ein Glücksfall für uns. Wir haben ihm das Vertrauen als Bundestrainer und damit die Chance gegeben – und er hat gescort. Wie so oft in seinem Leben.


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