Die KHL, ein Riese in Kinderschuhen

Was sorgten die Klubs der neu gegründeten Kontinentalen Hockey Liga in den vergangenen Wochen doch für Aufsehen, vor allem aber Ärgernisse bei Vereinen und Klubs im „Rest“ der Welt des Eishockeys! Obwohl die Macher im Osten sich auf die Fahnen geschrieben hatten vor allem der ungeliebten NHL Denkzettel auf Denkzettel zu verpassen, waren es letztlich doch eher die europäischen Top-Ligen, die mit dem zwischen Minsk und Nowosibirsk ausgebrochenen Kaufrausch zu kämpfen hatten. Als Leid tragende deutsche Klubs können davon die Kölner Haie und Krefeld Pinguine aus der DEL ein Lied mit mehreren Strophen singen. Gut gezielt, aber schlecht getroffen, Towarischtsch!
Jagr war für die NHL entbehrlich, Radulov dagegen ein Verlust
Den größten Coup in Sachen Transfers landete bisher sicher Salawat Julajew Ufa, das den gerade 22-jährigen Alexander Radulov aus Nashville in die russische Heimat zurücklotsen konnte. Dieser Verlust, das zeigen die Reaktionen in Übersee, nagt schon am vom Führungsanspruch geprägten Selbstverständnis der Nordamerikaner. Seinen Wechsel nimmt die IIHF allerdings noch genauer unter die Lupe. Das Engagement Jaromir Jagrs (Avangard Omsk) sorgte in Russland gar für leicht die Wahrnehmung trübenden Siegestaumel. Denn die nur halbherzigen Versuche der New York Rangers den 36-jährigen weiter an sich zu binden, zeigten, dass dessen Dienste inzwischen als durchaus entbehrlich angesehen wurden. Mit Alexander Ovechkin, Jewgenij Malkin, Sidney Crosby, Jonathan Toews oder Patrick Kane verfügt die NHL über weit jüngere, neue Stars, denen die Herzen der Fans schon jetzt nur so zufliegen. - Und nach Radulov und Jagr? Nennenswert wäre da wohl noch Enfant Terrible Ray Emery, der in der kommenden Saison für Atlant Mytischtschi im Tor steht. Der hatte sich mit seinen Eskapaden in Ottawa allerdings selbst von den Einkaufslisten sämtlicher NHL-Manager katapultiert. Aus anderen ehrgeizigen Projekten, wie der vehement angestrebten Rückkehr Malkins wurde ebenso wenig wie aus dem Unterfangen, die Liga wenigstens mit weiteren Altstars à la Shanahan oder Straka aufzupeppen. Erkennbar wurde zudem, dass KHL-Klub nicht gleich KHL-Klub ist, sich nicht jeder gleichermaßen aus schier unerschöpflichen Geldquellen bedienen kann. Die Umstände des gescheiterten Einstiegs Avtomobilist Jekaterinburgs in die Liga weisen darauf hin. Anstatt einer ganzen Reihe von NHL-Stars kamen so viel mehr Spieler in die KHL, die bis vor kurzem noch für Klubs in der Schweiz, Schweden und auch Deutschland finanzierbar gewesen wären. Wieso diese „Sternchen“ nun den zahlreichen talentierten russischen Eigengewächsen die Plätze streitig machen dürfen? Ein Rätsel! - Denkbar ist, dass sich die Verhältnisse auf dem Spielermarkt bald wieder relativieren. Nicht jeder Spieler, der aus der NHL/AHL kommend bei einem KHL-Klub anheuerte, kann wie Verteidiger Joel Kwiatkowski (Sewerstal Tscherepowez) sagen, dort nach den Wurzeln seiner Vorfahren suchen zu wollen, die in seinem Fall einst aus der Ukraine nach Kanada auswanderten. Kwiatkowski reist mit Frau und Kind nach Russland und bildet damit eher die Ausnahme. Dass viele Klubs ihre Transferaktivitäten neben aus der Fremde heimkehrenden Landsleuten vorzugsweise auf Spieler tschechischer oder slowakischer Herkunft konzentrierten, scheint gewissen Zweifeln Rechnung zu tragen. Man wird sehen, wie sich die Legionäre insbesondere aus Nordamerika auf Dauer in der KHL zurechtfinden.
Chancen erkennen, den Dialog suchen
Die KHL ist ein junger Riese, der sich seiner Kräfte schnell bewusst und die Kinderschuhe bald abstreifen wird. Die NHL an Bedeutung und Reputation zu überholen, das dürfte indes weniger schnell gelingen. Sportlich über nahezu jeden Zweifel erhaben wird die KHL aber leicht zur Nummer zwei in der Welt aufsteigen und auf Sicht die europäischen Verhältnisse dominieren. Ignoranz oder andauernde Konfrontation sind insofern gewiss kein taugliches Konzept des Umgangs miteinander. Angebote zum sachlichen Dialog, wie das von Igor Larionow an die NHL vor wenigen Tagen, sollten auch von den europäischen Ligen und Verbänden, nicht zuletzt von der IIHF wahrgenommen werden, um zu langfristigen und tragfähigen Übereinkünften auf allen Ebenen zu gelangen. Geschieht das nicht, läuft man Gefahr, zwischen NHL und KHL aufgerieben zu werden. Schneller als gedacht könnten die nationalen Meisterschaften Europas aufgrund sinkenden Niveaus an Attraktivität verlieren und die jeweiligen Spitzenklubs in die Arme der KHL treiben; die vermeintliche Utopie einer Western Conference, wie sie den russischen Managern heute schon vorschwebt, trotz einiger zu bewältigenden Barrieren zur Realität werden lassen.
Für die DEL und ihre Manager sollte die Devise in Zukunft wohl lauten, die Augen offen zu halten und vor allem mit ernsthaften Investitionen in den Nachwuchs neue Stärken und ein eigenes, unverwechselbares Profil zu entwickeln, mit dem sich Fans und Sponsoren besser identifizieren können als bisher. Vielleicht lohnte es sich, auch wieder auf personelle Kontinuität zu setzen, anstatt jedes Jahr die Kader rundzuerneuern. Ist es nicht auch der Mangel an Kontinuität, der die Eishockeyinteressierten und –begeisterten hierzulande immer wieder Kritik am Produkt DEL üben lässt? - So viel steht jedenfalls fest: die KHL hat schon kurz nach ihrer Gründung scheinbar unverrückbare, in Jahren gewachsene Strukturen des Welteishockeys gehörig durcheinander gewirbelt, insofern auch an bisherigen Domänen der NHL gerüttelt, neue Themen geliefert und Fragen aufgeworfen. Die zu beantworten Aufgabe der kommenden, vermutlich nicht unspannenden Jahre wird. (Matthias Eckart)
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