Deutschland-Schweiz im Vergleich - Teil 1 - 3

Als langjähriger NHL-Scout, der sämtliche Juniorenauswahlmannschaften und auch
die Nationalteams bei zahlreichen internationalen Turnieren begleitetn fühle ich
mich befähigt, einen Vergleich dieser zwei Nationen anzustellen:
Die
Grundlagen
Die
beiden Eishockeynationen Schweiz und Deutschland verbindet eine jahrzehntelange,
gesunde Rivalität. Die Rivalität wird konstruktiv ausgelebt, d.h. die beiden
Verbände arbeiten gut zusammen. Viele Testspiele und gegenseitige Einladungen
zu Turnieren auf allen Stufen ist das erfreuliche Resultat. Dieser attraktive
Konkurrenzkampf gründet nicht nur auf der Nachbarschaft und der jeweiligen
Derbystimmung sondern auch auf der Tatsache der Ausgeglichenheit im Stärkenverhältnis.
Während Deutschland in den 70er bis 90er Jahren die besseren Resultate
aufweisen konnte hat die Schweiz in den letzten Jahren aufgeholt. Heute
beurteile ich die Situation als ausgeglichen. Trotzdem, wo liegen die
Unterschiede?
Die
Nationalmannschaft
Die
Deutsche Nationalmannschaft die an Olympia gegen die Schweiz antreten wird ist
aus meiner Sicht im direkten Duell zu favorisieren denn bei den Deutschen werden
alle NHL-Spieler zur Verfügung stehen. Dies ist auch ein Teil der Begründung
der Favoritenrolle: Deutschland hat deutlich mehr NHL-Spieler und davon mit Kölzig,
Hecht und Sturm drei bestandene, mit durchschnittlichem NHL-Niveau. Hinzu kommen
Seidenberg (etwas fragil aber auch mit dem Potenzial zum durchschnittlichen
NHL-Verteidiger), Ehrhoff (ebenfalls Stammspieler aber noch in einer
untergeordneten Rolle) – genau so wie Marcel Goc. Den Ottawa-Verteidiger
Schubert bezeichne ich als „halben“ NHL-Verteidiger. Er hat sich noch nicht
durchgesetzt. Ebenfalls auf die Stufe von Goc und Ehrhoff stelle ich den
Tschechien-Söldner Jan Benda. Nicht weit davon entfernt sind
Mirko Lüdemann, Daniel Kreutzer und Eduard Levandovsky. Zudem versteht
es Deutschland immer wieder, Löcher
mit Einbürgerungen zu stopfen. Auf der anderen Seite die Schweiz. Sie stellt
mit dem Goalie Martin Gerber nur einen Spieler von der Klasse der Top3
Deutschlands. Der zweite Goalie, David Aebischer, spielt zwar auf ähnlichem
Niveau, auf der Goalieposition darf aber nur einer eingesetzt werden. Der
Montreal-Verteidiger Mark Streit ist erst ein „halber“ NHL-Spieler. Er
befindet sich in einer ähnlichen Position wie Christoph Schubert bei Ottawa.
Der langen Worte kurzer Sinn: Deutschland hat die besseren „High-End“
Spieler, d.h. die besten Spieler Deutschlands sind besser als die besten Spieler
der Schweiz. Die Schweiz hat hingegen Vorteile in der Tiefe. Ich beurteile das
durchschnittliche Niveau der Schweizer Spieler im dritten und vierten Block
besser als dasjenige Deutschlands. Alles in allem: Leichte Vorteile für
Deutschland, weil sie in engen Situationen die besten Spieler forcieren können
und somit individuell überlegen sind. Die Vorteile sind allerdings nicht sehr
gross denn Hecht, Sturm, Kölzig und Benda sind keine Superstars vom Format
eines Jaromir Jagr, Dany Heatley, Roberto Luongo oder Joe Thornton aber doch
eine Spur besser als die besten Schweizer wie Martin Plüss oder Mark Streit.
Eigenartig, wie es die Schweiz im Gegensatz zu Deutschland kaum versteht, langjährige
Söldner für die Schweizer Nationalmannschaft zu motivieren. Der frühere
Mannheimer Jan Alston sowie der New York Rangers-Draftpick Christian Dubé könnten
heute theoretisch für die Schweiz spielen wenn sie nur wollten… Wie gesagt,
die Schweiz hat gewisse Vorteile in der Tiefe des Kaders. Die im
Leistungsranking zwischen den Rängen 6 und 30 klassierten Spieler sind in der
Schweiz im Durchschnitt besser. Unter dem Strich haben die Deutschen in
Vollbesetzung – wie an Olympia – leichte Vorteile. An Weltmeisterschaften
ist die Ausgangslage hingegen jeweils ausgeglichen weil die Deutschen mehr von
Absagen betroffen sind als die Schweizer.
Der Nachwuchs
Die
bessere Tiefe im Kader der Schweizer ist das
Resultat eines guten Nachwuchsförderungsprogramms. Dies führte dazu,
dass die Schweizer gegenüber den Deutschen bei den Jahrgängen 83-90 Vorteile
haben. In diesen Alterskategorien sind die Deutschen nur beim Jahrgang 87 leicht
im Vorteil. Ansonsten stelle ich Ausgeglichenheit oder Vorteile für die Schweiz
fest. Vor drei bis vier Jahren waren die Schweizer Juniorenauswahlteams den
Deutschen spürbar überlegen. In jüngster Zeit konnten die Deutschen die Lücke
wieder etwas schließen, ohne die Schweizer aber überholt zu haben.
Die Ausstrahlung
Stilistisch
gibt es keine grossen Unterschiede zwischen den beiden Nachbarn. Die Deutschen
sind im Durchschnitt eine Spur grösser, kräftiger, athletischer und kampfstärker
währenddem die Schweizer bei den läuferischen Fähigkeiten und in der
mannschaftlichen Geschlossenheit, der taktischen Disziplin etwas besser sind.
Beide Nationen zeichnen sich kaum je mit Filigrantechnikern aus. In der
Scheibenkontrolle und den individuellen Skills haben die Spieler beider Nationen
grössere Defizite. Im
Weltklassevergleich haben Deutschland wie die Schweiz
in sämtlichen Belangen Aufholbedarf: Körpergrösse, Muskelkraft (vor
allem in den Rumpf-und Beinpartien) Schlittschuh laufen, Stocktechnik. Im
Gegensatz zu Kanada, Russland, Tschechien, Slovakei, Schweden und Finnland haben
weder Deutschland noch die Schweiz Spieler mit einem Skill-Level der sie zum
Ausnahmekönner stempelt. Die Gründe hierfür liegen wahrscheinlich auch in der
mangelhaften Grundausbildung im Kindesalter. Ein langer, steiniger Weg – diese
Defizite auszumerzen.
Die sportliche Zukunft
Die
Schweiz gibt sich meist damit zufrieden, gegen die Deutschen mithalten oder sie
besiegen zu können. Deutschland ist der Massstab. Umgekehrt stelle ich dies
mindestens auf Juniorenebene ebenfalls fest. Ein grosser Fehler aus meiner
Sicht! Ich bin kein Phantast und fordere keine Weltmeistertitel – dafür kenne
ich Kanada und Russland nur zu gut. Es gibt aber kaum Gründe die dafür
sprechen, warum wir (Deutschland und die Schweiz), uns nicht das Ziel setzen können,
zur Slovakei aufzuschliessen. Beide Nationen müssen in absehbarer Zeit einen
Schritt nach vorne tun. Falls nein bedeutet dies nicht nur Treten an Ort sondern
Rückschritt. Allzu gerne vergessen wir, dass Nationen wie Lettland,
Weissrussland, Dänemark, Oesterreich und andere aufholen und nur darauf warten,
uns im Nationenranking auf den Plätzen 8 und 9 ablösen zu können. Lassen wir
uns von einzelnen positiven oder negativen Zufallsergebnissen nicht blenden wie
z.B. eine Halbfinalqualifikation oder wie jüngst der Deutsche Abstieg in die
B-Gruppe. Die Schweiz und Deutschland sind für mich aktuell die Nummern 8 und 9
im internationalen Leistungsvergleich. Der Vorsprung auf die Nationen auf den Plätzen
10-15 ist aber kleiner als der Rückstand auf die Nummer 7. Dies dürfen wir
nicht akzeptieren. Wir wollen und müssen besser werden! Ich postuliere eine
systematische Grundausbildung im Kindereishockey mit deutlich mehr lauf- und
stocktechnischen Drill-Elementen. Diese Drills müssen von hochqualifizierten
Technikern überwacht, in hoher Präzision und Intensität ausgeführt und in
endloser Wiederholung gefordert werden. Nichts für Sensibelchen und keine
Spielwiese für lustfördernde Ausbildungsmethoden sondern beinharte Arbeit mit
viel Schweiss und Entbehrungen. Diese unzimperliche Gangart schlage ich nur für
die allerbesten Talente vor, diejenigen mit echten Aussichten zum Profisport auf
höchstem Niveau. Für alle anderen liege ich voll auf der Linie der modernen Pädagogen,
sprich „die Freude am Sport durch spielerische Elemente fördern“. Zusätzlich
bin ich überzeugt, dass in beiden Ländern mindestens ein Leistungszentrum mit
einer schmalen Eisfläche (NHL-Dimensionen) als ergänzendes Praixselement
gebaut werden sollte. Ja ich weiss, - all dies
kostet Geld, viel Geld, wobei wir bereits beim Thema Wirtschaftskraft
angelangt wären.
Die
wirtschaftlichen Aussichten
In
der Schweiz bezahlen die Clubs noch immer die höheren Saläre als in
Deutschland. Dieses Ungleichgewicht gerät aber ins Wanken denn viele Schweizer
Teams leben über ihren Verhältnissen, d.h. finanzielle Löcher werden von Mäzenen
gestopft. Das eigentliche Eishockey-Business in der Schweiz lässt auch für die
Spitzenspieler kein Direktorengehälter zu und dies liegt zum Teil an den völlig
veralteten, schrottreifen Stadien die alles andere als ein Ertragsfundament
bilden. Aktuell gibt es zwar Projekte für Sanierungen und Neubauten. Diese
Projekte muten aber im Vergleich zu den bereits erstellten Arenen in Deutschland
zweit- und drittklassig an. Mittelfristig bedeutet dies für die Teams in Köln,
Berlin, Mannheim, Hamburg etc. ein besseres wirtschaftliches Fundament für die
Zukunft als bei den Schweizer Teams. Voraussetzung ist aber, dass im Bereich
Marketing, Merchandising, Catering und Sponsoring professionell gearbeitet wird,
ansonsten eine moderne Arena wegen den nicht unerheblichen Unterhaltskosten zum
Bumerang werden kann. Trotzdem: Die deutlich besseren Stadien in Deutschland -
wie übrigens auch in Finnland, Schweden, Tschechien und Russland - als in der
Schweiz verheissen im internationalen Wirtschaftskraftwettbewerb nichts Gutes für
die Schweizer Clubs. In der Schweizer Liga werden mittelfristig wohl kleinere Brötchen
gebacken. Die Ausländer werden nicht mehr zweitklassig sondern nur noch
drittklassig sein. Die besten Schweizer Spieler werden vermehrt in ausländischen
Ligen anheuern. All dies wird sich aber nicht negativ auf die Nationalmannschaft
auswirken; ja – das Gegenteil könnte sogar der Fall sein. Die Schweizer
Top-Liga hingegen – die noch vor nicht allzu langer Zeit die am besten
bezahlende Liga neben der NHL war und dies mit einem hohen Unterhaltungswert -
wird im europäischen Vergleich an Bedeutung verlieren. Aehnlich wie die
Schweizer Super-League im Fussball. Die DEL hingegen könnte in Europa neben
Russland das Mass aller Dinge werden: Eine Liga mit guten Söldnern, mit
modernen und bequemen Arenen, mit neuen Zuschauerschichten und mit potenten
Sponsoren. All dies wird aber nicht automatisch zu einem Ungleichgewicht auf
Nationalmannschaftsebene führen. Die Schweizer Spieler werden vermehrt zu Söldnern
und dies wird sich wie im Fussball eher leistungsfördernd als leistungshemmend
auswirkend und die Schweizer Liga kann sich auf der Suche nach einem neuen
Selbstverständnis vielleicht als Ausbildungsliga profilieren. Gute
Zukunftsaussichten für Deutschland und die Schweiz wie ich meine – aber mit
umgekehrten Vorzeichen. Zudem: Deutschland ist für allfällig wieder
aufflackernde Pläne einer Europäischen Super-League – das theoretische europäische
Pendant zur NHL – mit seinen Stadien sehr gut gerüstet. Die eine oder andere
Deutsche Metropole dürfte in diesen Plänen ganz bestimmt eine Rolle spielen.
Thomas
Roost /
Januar
2006