Was es heißt, Eishockey-Vizeweltmeister zu seinKommentar zum Erfolg der deutschen Nationalmannschaft in Tampere

Lassen wir das WM-Turnier von 1953 außen vor, als Deutschland in einem Turnier, das mit vier Mannschaften begann, aber mit dreien endete, Silber gewann, dann datiert der letzte WM-Erfolg dieser Größenordnung tatsächlich von 1930. Dann sind es nicht nur 70, sondern gar 93 Jahre seit der letzten vergleichbaren Leistung. Das ist kaum zu begreifen.
Die Gesichter der deutschen Eishockeyspieler sind vielleicht der größte Unterschied zwischen dem olympischen Erfolg von 2018 in Pyeongchang und dem aktuellen WM-Silber-Coup von 2023 in Tampere: Damals schafften es die deutschen Spieler recht schnell, strahlende Minen aufzusetzen. Das gelang diesmal nicht. Moritz Müller, der Kapitän, das Gesicht dieser und der Mannschaft von vor fünf Jahren, war noch am tapfersten. Wer aber weiß, wie die Augen mitfunkeln, wenn der Kölner lacht, der sah, dass auch ihn die Finalniederlage gegen Kanada schmerzte. Und so hart es sein mag: Das ist vielleicht sogar ein gutes Zeichen. Zwar ist es nach wie vor nicht gesetzt, dass es dem DEB-Team nun regelmäßig gelingt, so weit vorzudringen – die Mannschaft aber traut es sich zu. Sonst hätte sie kaum so traurig in dem Moment sein müssen, als die Schlusssirene erklang.
Die sportlichen Lehren aus der Vizeweltmeisterschaft des deutschen Teams sind ambivalent. In keiner Sportart der Welt ist der Umstand, Weltmeister zu sein, gleichbedeutend damit, das weltbeste Team zu sein. Weltmeister zu sein, heißt, ein bedeutendes Turnier gewonnen zu haben. Dass Deutschland nun Vizeweltmeister ist, ist großartig, sogar historisch wie die Jahreszahlen unzweifelhaft belegen – aber wir sind eben auch nicht die zweitbeste Eishockey-Nation der Welt.
Und dennoch: Innerhalb von fünf Jahren hat die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft einen Erfolg wiederholt und damit bestätigt, der zu Zeiten von 4:12-Niederlagen gegen Norwegen völlig undenkbar war. Und sie hat ihn mit wechselnden Bundestrainern bestätigt. Marco Sturm hat vieles in Gang gesetzt, Toni Söderholm hat diese Entwicklung weiter vorangetrieben – und die ganz private Einschätzung des Autors, dass Harold Kreis einer der besten Trainer in Deutschland ist, hat sich nun auch bewahrheitet. Der Mann ist, was die reine Sportlehre angeht, bemerkenswert gut. Und einer der vielen Kommentare unter in Sozialen Medien geteilten Interview-Videos, die nun auch deutlich mehr Sportfans erreicht haben als jene, die ohnehin den Eishockey-Kosmos bevölkern, lautete: „Was für ein sympathischer Mann!“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
Was wissen wir nun, da wir Vizeweltmeister sind? Deutschland mag nicht die zweitbeste Eishockey-Nation sein. Das DEB-Team wird nun auch nicht jedes Jahr das Finale erreichen. Aber den Status der Top Acht, die gute Chance, regelmäßig das Viertelfinale erreichen zu können – der dürfte realistisch sein. Zu diesem Realismus gehört aber auch: Die Möglichkeit des Scheiterns gehört weiterhin dazu. Dafür ist es nun einmal Sport.
Die Erfolge von 2018 und 2023 haben auch eine ganze Menge damit zu tun, dass der damalige DEB-Präsident Franz Reindl den Mut hatte, beim Programm „Powerplay 26“ groß zu träumen. Medaillenerfolge sollten durch ein Nachwuchskonzept bis 2026 möglich werden. Nun sind es sogar schon zwei silberne Erfolge. Diese Vision, die Reindl vertrat und an ihrem Anfang wahrscheinlich sogar belächelt worden ist, muss weiterhin mit Leben gefüllt werden. Dazu ist es notwendig, dass das getan hat, was bei der Aufbruchstimmung im Zuge des Führungswechsels beim DEB von Uwe Harnos zu Franz Reindl gelang: Das Gefühl der Einigkeit zwischen Ligen, Verbänden und Vereinen.
Dieses Gefühl und vor allem das daraus resultierende Handeln aller Beteiligten muss wiedergefunden werden. Auf allen Ebenen: von der DEL bis hinunter zu den Landesverbänden. All die kleinen Egoismen, die sich immer dort finden, wo Sportfunktionäre sich vielleicht unbeobachtet fühlen, müssen im Keim erstickt werden. Es zählen nicht nur die Interessen der großen Vereine. Oder der mittleren Vereine. Oder der kleinen Vereine, die vielleicht nie über die Ebene des Landesverbände hinaus kommen. Es zählen alle Interessen. Dass die besten Jungs und Mädchen irgendwann bei den besten Vereinen spielen, liegt in der Natur der Sache. Doch genauso muss die mittlere und untere Ebene gestärkt werden. Die Chance, dass sich alle Vereine im Rahmen ihrer Möglichkeiten weiterentwickeln – und auch die Chance haben, sich nach „oben“ zu entwickeln, wenn sich diese Gelegenheiten bieten, wenn vor Ort gute Arbeit geleistet wird, die allzu oft von wenigen Schultern getragen werden.
Wir müssen einen Weg finden, in den Kommunen für den Erhalt der Eissporthallen oder besser noch für deren Neubau zu sorgen. Wir müssen alle Eishockey-Standorte erhalten oder gar alte wieder aktivieren. Dass dies gelingt, ist keineswegs selbstverständlich. Doch der Respekt, den sich die Sportart Eishockey durch Olympisches Silber und die Vizeweltmeisterschaft erarbeitet hat, kann genau für Dinge dieser Art genutzt werden. Die Eishockey-Vereine müssen sich noch stärker vernetzen, mit den Landes- und Stadtsportbünden ihrer Region. Um Teil der Gesellschaft zu sein.
All das zeigt, dass das gilt, was schon 2018 richtig war. Der aktuelle Erfolg ist großartig – aber nicht das Ende einer Entwicklung. Es muss ihr Anfang sein. Die Arbeit hat gerade erst begonnen! Packen wir es an! Damit wir Momente wie diese wunderbaren Wochen von Pyeongchang, Tampere und Riga nicht in einigen Jahrzehnten mit Nostalgie und Wehmut betrachten müssen, sondern als den Startpunkt einer Entwicklung, von der wir von wenigen Jahren nicht einmal träumen durften.
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