„Ich setze keine Grenzen – und ich baue keinen Druck auf“Bundestrainer Pat Cortina im Gespräch über die WM in Weißrussland
„Die ersten Eindrücke sind positiv, sowohl von der Eishalle her als auch vom Hotel“, berichtet Cortina von den ersten Momenten in Minsk. Nun gilt es, sich zu fokussieren. „Mit der Vorbereitung bin ich ganz zufrieden. Die Jungs haben die ganze Zeit über gut gearbeitet“, zieht Cortina ein Fazit der acht Vorbereitungsspiele. „Natürlich war unser letztes Spiel nicht unser bestes Spiel“, sagt der Coach mit Blick auf die Partie gegen die USA am Dienstagabend in Nürnberg. „Aber das ist auch ganz normal. Wir hatten schon sieben Spiele bestritten, für einige war noch nicht klar, ob sie dabei bleiben. Da war der psychologische Druck groß.“ Dazu kam allerdings auch eine amerikanische Mannschaft, die sich in starker Form zeigte. „Das war deren erstes Spiel. Die Spieler wollten sich positiv präsentieren. Die Amerikaner sind gute Schlittschuhläufer, sind zudem groß. Ein starker Gegner.“
Mit den Verteidigern Daryl Boyle vom EHC Red Bull München und Nikolai Goc von den Adlern Mannheim wurden zwei weitere Spieler vor dem Abflug nach Weißrussland aus dem WM-Kader gestrichen, doch noch immer ist das 26-köpfige Team um einen Spieler zu groß. Der internationale Verband erlaubt nur 25 Spieler pro Team – 22 Feldspieler und drei Torhüter, um genau zu sein. Wann also fällt die letzte Entscheidung, wer nicht für das Turnier lizenziert wird? „Wir werden uns da Zeit lassen“, sagt Cortina. „Im Moment ist Dominik Kahun unser Stürmer Nummer 15. Das weiß er auch. Dennoch ist das hier eine gute Erfahrung für ihn.“ Das heißt aber nicht, dass der junge Angreifer von den Sudbury Wolves, der zur neuen Saison nach München wechselt, am Samstag die Heimreise antreten muss. „Wir werden zum ersten Spiel nicht alle 25 Spieler lizenzieren“, hält sich Cortina die Möglichkeit offen, noch zu reagieren.
Am Donnerstag um 12.30 Uhr und am Freitag um 11.30 Uhr wird die deutsche Mannschaft auf dem Eis trainieren. „Dazu kommen natürlich noch Teambesprechungen“, so Cortina. Ernst wird es am Samstagmittag, wenn ausgerechnet Kasachstan der erste Gegner ist. Ausgerechnet deshalb, weil dieser Kontrahent gemeinhin in die Kategorie „schlagbar“ einsortiert wird. Gewinnt das DEB-Team, sieht es schon früh gut in Sachen Klassenerhalt aus. Ist es also gut, gleich zu Beginn gegen Kasachstan zu spielen? „Wir werden uns nicht auf unsere Gegner fokussieren“, sagt der Bundestrainer. „Viel wichtiger ist, dass wir das tun, was nötig ist, um eine gute Leistung abzurufen. Außerdem: Wenn wir das erste Spiel gewinnen, haben wir noch sechs weitere Spiele zu bestreiten. Und das gilt natürlich auch, wenn wir dieses Spiel verlieren. Es macht keinen Sinn, auf die Stärke oder Schwäche eines Gegners zu spekulieren. So etwas geht schief.“
Oft musste sich Cortina in den letzten Tagen erklären, warum er auf Spieler des Deutschen Meisters ERC Ingolstadt verzichtet. „Nun“, sagt er, „wir hätten Patrick Hager gerne dabei gehabt. Er hat aus persönlichen Gründen abgesagt und kümmert sich um seine Familie.“ Doch es wären ja noch andere Spieler „im Angebot“ gewesen. Wie Thomas Greilinger oder Patrick Köppchen, der zum wertvollsten Spieler der Play-offs gewählt worden ist. Cortina betonte: „Physisch und emotional waren die Play-offs eine große Belastung. Wir hatten zwei Tage Zeit – eine Trainingseinheit und ein Testspiel – um uns zu entscheiden. Danach hätten die Spieler nur wenige Tage Zeit gehabt, um nach 21 Play-off-Spielen körperlich und mental wieder bereit zu sein“, erklärt der Trainer seine Entscheidung. „Das wäre gegenüber den Spielern nicht fair gewesen. Hätten wir eine Woche oder zehn Tage mehr gehabt, wäre die Entscheidung vielleicht anders ausgefallen.“ Ähnliches gelte ja auch für John Tripp von den Kölner Haien, der wie die beiden genannten Ingolstädter schon jenseits der 30 ist. „Zwei Tage sind da einfach nicht genug.“ Bei den Goalies entschied sich Cortina gegen Timo Pielmeier und für Danny aus den Birken. Obwohl – diese Formulierung gefällt dem Bundestrainer nicht: „Ich habe mich ja nicht gegen Timo entschieden. Er hat ein starkes erstes Jahr gespielt. Er ist jung und hat die Zukunft vor sich, auch in der Nationalmannschaft. Aber Danny hat schon sein zweites ganz starkes Jahr gespielt.“
Bemerkenswert sind die jungen Spieler, die in Nordamerika dem Puck hinterjagen, sprich Leon Draisaitl, Tobias Rieder und Marcel Noebels. „Sie werden eine Menge Energie und Enthusiasmus in unser Spiel bringen. Es wäre nicht fair, mehr zu erwarten – auch wenn es durchaus möglich ist, dass sie uns noch mehr geben werden.“
Ein Ziel will Cortina nicht ausgeben; kein defensiv formuliertes wie Klassenerhalt, kein offensiv formuliertes wie das Viertelfinale. „Ich setze keine Grenzen. Und ich baue keinen Druck auf“, sagt der Coach. „Es kann eine Kleinigkeit bedeuten, gegen den Abstieg zu spielen oder das Viertelfinale zu erreichen. Wir wollen am Ende zufrieden aus dem Turnier gehen.“ Cortina schiebt nach: „Wenn wir aber das Viertelfinale erreichen sollten, würden wir nicht sagen, wir haben unser Ziel schon erreicht.“ Das Turnier bleibt schwer vorherzusehen. Sieben Spiele in elf Tagen, davon die ersten vier innerhalb von fünf Tagen. „Das ist eine hohe Belastung“, sagt Cortina noch einmal mit Blick auf die Auswahl der Spieler. „Deswegen werde ich mich auch auf keine Nummer eins im Tor festlegen.“
Kurz vor Beginn des Turniers mahnte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International die politische Situation in Weißrussland an. In einer Mitteilung auf der deutschen Homepage von Amnesty International spricht die Organisation von politischen Gefangenen. „Jetzt schaut die Öffentlichkeit auf Belarus. Das sollte genutzt werden, um Menschenrechtsverletzungen anzuprangern“, sagte Jovanka Worner, Weißrussland-Expertin von Amnesty International. Für Sportler natürlich ein schwieriges Thema. „Wir sehen nicht viel mehr als unser Hotel und die Eishalle. Wir müssen uns ja auf unsere Aufgabe konzentrieren“, erklärte Pat Cortina, der aber nachschiebt: „Ich kann daher nur hoffen, dass die Menschen in Weißrussland die Spiele genießen können.“