Zum ersten Mal beim EishockeyBegeistert von der „verrückten Sportkultur“

Kurz nach Betreten des Etablissements gönnt sich die Hockeydebütantin ein frisch gezapftes Bier. Der Einlauf der Spieler samt Lichtshow hinterlässt euphorisches Schwelgen. Kurz nach dem Eröffnungsbully hält es die Unternehmensberaterin kaum noch auf ihrem Sitz. Ständig rutscht sie von links nach rechts und wieder zurück auf ihrem Sessel herum und klatscht rhythmisch mit. „Die Spieler wechseln die ganze Zeit durch – das Spiel muss sie viel Kraft kosten“, bemerkt sie flott. Den Frankfurter Führungstreffer durch Adam Mitchell (8., 1:0) egalisiert Andrej Bires (8., 1:1) nur 28 Sekunden später. „Unglaublich, welch eine Energie in der Halle herrscht. Die Zuschauer brüllen, die Jungs rennen. Einfach super!“, resümiert Lin Xu das äußerst umkämpfte Derby nach den ersten zwanzig Minuten.
Seit 2015 wohnt sie in Frankfurt. Ein Kumpel hatte ihr den Vorschlag gemacht, sonst wäre sie nicht auf die Idee gekommen, zum Eishockey zu gehen. „Von den Löwen Frankfurt hab ich vorher nie was gehört“, sagt sie. „Aber ich lasse mich gerne auf neue Erfahrungen ein.“ Warum auch nicht? Das Eishockeymatch belebt sie: „Das hier ist beste Unterhaltung und lenkt vom Alltag ab.“ In der Drittelpause holt Xu nochmal ein Gezapftes. Die langen Reihen an Toilette und Verkaufsstand machen ihr nichts aus. „Ich trinke gerne Bier und es passt sehr gut zur Stimmung in der Halle!“ Na dann: Prost!
Frankfurt und Bad Nauheim liefern sich einen richtigen Fight, zwischendurch gibt es Meinungsverschiedenheiten unter den Akteuren – da landet auch mal eine Faust im Gesicht. Die Schiedsrichter verteilen nicht selten Strafzeiten. „Die Regeln muss ich erstmal verstehen. Das braucht ein bisschen Zeit“, sagt die Hobbykünstlerin. Ihr Kumpel hilft bei Unklarheiten. „In meiner Freizeit suche ich eigentlich ruhige, langsame Beschäftigung. Ich zeichne und male zum Beispiel, spiele Gitarre.“ Eishockey sei ganz anders: „Es ist superschnell und auch hart. Die Spieler hauen sich an die Wand – wow!“ Der Nauheimer Führung durch Zach Hamill (23., 1:2) folgt wiederum der prompte Ausgleich durch Dominik Meisinger (25., 2:2). Und dann fliegen plötzlich Hühner aufs Eis. Die junge Frau aus Fernost lacht laut, während die meisten Zuschauer mit der Entscheidung der Unparteiischen nicht einverstanden sind. „Das ist eine verrückte Sportkultur.“ 2:2 nach zwei Dritteln – es bleibt spannend.
Lin Xu erzählt, dass sie selbst recht unsportlich sei und früher in der Schule mit schlechten Sportnoten zu kämpfen hatte. Ursprünglich kommt sie aus Chonqing (gesprochen: Tschontsching). Dort war sie einmal Eislaufen. Die chinesische Metropole ist etwa so groß wie Österreich und beheimatet rund 31 Millionen Einwohner. Da erscheint Frankfurt wie ein Dorf. Lin Xu lernte Deutsch und studierte deutsche Literatur in ihrem Geburtsort. Danach entschied sie sich für einen völlig neuen Weg. Sie ging über die Landesgrenzen hinaus, absolvierte einen Master im Finanzbereich und arbeitet seither in der Wirtschaftsprüfung in Deutschland. Ob sie hier bleibt, ist ungewiss. Sie liebäugelt mit Island. In der Drittelpause schaut sie gebannt der Eismaschine bei der Eisaufbereitung zu. Der Schnee wird abgekratzt und warmes Wasser draufgelegt. So wird die Spielfläche wieder glatt.
Mit gefülltem Gerstensaftbecher geht es in den Schlussabschnitt. Und was Lin Xu da sieht, erfreut ihr noch junges Löwenherz wenig: innerhalb von 163 Sekunden bringen Andrej Bires (45., 2:3), Mick Köhler (46., 2:4) und Manuel Strodel (48., 2:5) die Teufelsgäste mit einem satten Dreierpack auf die Siegerstraße. Lin Xu ist beeindruckt von der Eingespieltheit. „Jeder Spieler weiß genau, was er tun muss. Es reicht nur ein kurzer Blick zum Mitspieler. Die verstehen sich fast blind.“ Die Finanzexpertin vergleicht das Zusammenspiel mit einer Musikband, bei der die Klänge harmonisch aufeinander abgestimmt sind. „In einer Band müssen sich die Musiker aufeinander verlassen können. Beim Eishockey sind die Spieler auch sehr gut aufeinander abgestimmt.“ Bad Nauheim spielt nach der Drei-Tore-Führung die Partie abgeklärt runter und beschert Frankfurt die erste Niederlage im achten Heimspiel der Saison 2019/20.
Lin Xu ist trotz der Pleite angetan vom Schlittschuhsport. Sie will wiederkommen. „Ich werde mir mal die Homepage der Löwen anschauen und die Profile der Spieler. Mich interessieren die Persönlichkeiten“, sagt sie. „Welche Menschen stecken da unter den Helmen?“, will sie wissen. Draußen vor der Halle trifft sie zufällig das Löwenmaskottchen Trevor. Der Ober-Löwe mit seiner riesigen Grinseschnauze ist direkt bereit für ein Erinnerungsfoto. Bald schon dürften sich die beiden wiedersehen, denn für Lin Xu steht nach diesem Abend fest: „Ich komme wieder!“