„Die Könige der Stadt“Sender trifft Christof Kreutzer – Hockeyweb-Sommergespräch Teil IV
Christof Kreutzer lebt den Trainerjob durch und durch. (Foto: dpa/picture alliance/CITYPRESS 24)Herr Kreutzer, 2012 wurden Sie Co-Trainer der DEG-Profis. Ab 2014 folgte ihre legendäre Zeit in der Doppelfunktion als Cheftrainer und Sportdirektor. 2015 erreichten Sie das Halbfinale und qualifizierten sich für die CHL. 2016 Viertelfinale und Trainer des Jahres. Eine herausragende Zeit, oder?
Während meiner Co-Trainer-Zeit ist die Metro als Hauptsponsor abgesprungen. Es musste Geld zusammengekratzt werden. Viele Aktionen wurden gestartet, die Toten Hosen z.B. spielten ein Konzert zugunsten des Clubs. Sportlich wurden wir zweimal Letzter. Niemand hatte uns auf dem Zettel. Die Gesellschafter wollten dann den nächsten Schritt gehen und ich wurde zum Sportlichen Leiter befördert. Ich sollte die Mannschaft zusammenstellen und einen geeigneten Trainer suchen, hab etliche Vorschläge für die Position gemacht und wir haben uns mit vielen Trainern unterhalten, aber irgendwie kamen wir mit keinem auf einen Nenner. Die Gesellschafter hatten unterschiedliche Auffassungen. Vor dem letzten Spiel der Saison 2013/14 wurde mir seitens der Gesellschafter signalisiert, ich solle nach dem Spiel nach oben ins Büro kommen. Ich sagte: „Ja klar, ich komm nachher hoch, kein Problem!“ Und dann hieß es: „Wir wollen, dass du unser Trainer bist.“ Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet, schließlich sollte ich Sportlicher Leiter sein. Und plötzlich wurde mir die Doppelfunktion angeboten.
Das muss Ihnen wie in einem Traum vorgekommen sein.
Du fängst als fünfjähriger Bub in diesem Verein an. Du hast Spaß an dem Sport und das Ziel war immer da unten mal mit den Großen vor vielen zu spielen. Grandiose Zeit mit Meisterschaften im Nachwuchs- und Seniorenbereich und hinterher wirst du auch noch Cheftrainer deines Vereins. Das ist natürlich unglaublich, keine Frage. Ich hatte einen riesigen Respekt vor dieser Aufgabe. Aber ich wusste, was ich kann. Ich brauchte zwei Tage Bedenkzeit, wollte es mit meiner Frau durchsprechen. Das Leben ändert sich mit so einem Job gravierend. Meine Frau sagte: „Du musst das machen, ob es schief geht oder nicht.“ Sie sagte hinterher auch: „Wenn ich nein gesagt hätte, hättest du es trotzdem gemacht.“ Am Ende sagte ich selbstverständlich zu. Viele aus dem Umfeld waren sehr skeptisch: „Das packt der nicht!“ Auf der anderen Seite gab es einige Optimisten nach dem Motto: „Endlich mal einer von uns!“
Ging es direkt los mit der Arbeit, nachdem Sie zugesagt hatten?
Ich habe sofort mit einer wahnsinnigen Energie losgelegt. Mein Körper hat unfassbar positive Kraft freigesetzt. Das passierte von ganz alleine. Keiner hatte große Erwartungen an uns. Playoffs wären Hammer, aber niemand hat damit fest gerechnet. Wir wurden in meiner erster Saison als Chef Fünfter nach der Hauptrunde. Im Viertelfinale gegen Hamburg gewannen wir Spiel sieben. Adrenalin pur! Das war sensationell, es fühlte sich brutal an. Es war das Nonplusultra das Halbfinale zu erreichen. Wir waren unendlich euphorisch. Das erste Halbinalspiel in Ingolstadt gewannen wir. Alles ging so rasend schnell, vielleicht zu schnell. Die Spieler waren die Könige in der Stadt. Ein bisschen mehr Vorbereitungszeit hätte uns sicher gut getan. Wir hatten unerwartet so viel erreicht, dass uns am Ende der nötige Biss und vielleicht auch die Erfahrung fehlte. Wir verloren die Serie gegen Ingolstadt mit 1:4. In der Endabrechnung qualifizierten wir uns für die Champions League. Das war ein schöner Bonus.
Wie sehen Sie die Champions Hockey League?
Die Champions League ist für das europäische Eishockey eine Bereicherung. Viele denken, es sei eine bessere Vorbereitung unter Topklubs, aber das ist keine Vorbereitung. Klar waren wir durch die Spiele bestens gerüstet für die Liga. Aber die CHL ist ein erstklassiger, eigenständiger Wettbewerb und verdient mehr Aufmerksamkeit.
Hat die DEG durch die CHL-Qualifikation finanziell profitiert?
Die Champions League kostete den Club mehr Geld als eingenommen wurde. Eine CHL-Teilnahme muss man sich erstmal leisten können. Unsere Gesellschafter Mikhail Ponomarev und Peter Hoberg wollten unbedingt dabei sein und haben uns finanziell unterstützt. Es war sehr gut international zu spielen. Wir haben es genossen, sehr gut gespielt und die Gruppenphase überstanden. In den KO-Spielen mussten wir uns dem späteren Finalisten Oulu geschlagen geben.
Die DEL-Saison 2015/16 lief ebenfalls recht ordentlich...
Nach einem Sieg gegen Augsburg waren wir zwischen den Jahren Tabellenführer! Das war eigentlich utopisch, das war genial. Wir hatten Silvester einen Grund mehr zu feiern. Genau das hatte Düsseldorf gebraucht! Die DEG wurde wieder wahrgenommen. Die Leute waren dadurch wieder bereit zu den Spielen zu gehen und dem Club ihr Geld zu geben – sowohl Fans als auch Sponsoren und Gesellschafter. Wir wurden Fünfter, waren im Viertelfinale. In den Playoffs scheiterten wir leider an Wolfsburg mit 1:4.
Sie wurden zum Trainer des Jahres gewählt. Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie?
Das ist eine ganz besondere Ehre, ich hätte nie damit gerechnet. Das ist zwar ein persönlicher Preis, aber zu solch einer Auszeichnung gehört ein ganzes Team: vom Topscorer bis zum Nachwuchsspieler, die Assistenztrainer, die Physiotherapeuten, die Betreuer – jeder hat seinen Beitrag geleistet. Für so einen Erfolg muss alles passen. Ich war zwar der Boss, habe die Entscheidungen getroffen und es so ausgerichtet, dass es klappt. Die anderen müssen dafür funktionieren. Ich bin jedem Einzelnen dankbar.
Sie waren ja nicht nur Trainer, sondern auch Sportlicher Leiter. Wie hat diese Doppelaufgabe funktioniert?
Das hat extrem viel Energie gebraucht. Ich hatte so viel Kraft wie ich es nie für möglich gehalten hätte. In dieser Doppelfunktion hatte ich nie eine Pause. Als Trainer beschäftigst du dich mit der Taktik, der Zusammenstellung der Übungseinheiten, der Reihen. Nach dem Training ging der andere Job weiter. Das Telefon bimmelte eigentlich immer. Urlaub war nicht möglich. Urlaub brauchst du um Energie zu holen, Regeneration. Selbst wenn ich mal eine Woche weg war, war das kein Urlaub. Ich kann mich noch an eine Reise mit meiner Frau nach Dänemark im Sommer 2015 erinnern. Die Mannschaft hatte ich fertiggestellt. Unseren Torwart Tyler Beskorowany hatten wir weiterverpflichtet. Er hatte eine Ausstiegsklausel für die NHL. Im Urlaub rief er mich an und sagte: „Sorry Coach, aber Colorado will mich.“ Ich würde einem Spieler, der in die NHL will, nie Steine in den Weg legen. Das geht nicht, das kann man nicht machen. Ich wünschte ihm viel Glück und musste dann schauen was ich mache... Da dachte ich, ich hätte die Mannschaft zusammen und stand plötzlich ohne ersten Torwart da. Meine Frau und ich blieben zwar in Dänemark, aber das war kein Urlaub mehr. Ich habe überlegt: Was machst du? Was gibt der Markt her?
Können Sie da nicht trotzdem einfach die eine Woche abschalten?
Nein, ich kann das nicht. Das lässt mich nicht in Ruhe. Dafür bin ich nicht der Typ. Wenn ich etwas nicht fertig habe, kann ich mich nicht an den Strand setzen und sagen, ich sei jetzt nicht erreichbar.
Wünschen Sie sich nicht, sie könnten in solchen Situationen trotzdem abschalten?
Vielleicht wünsche ich mir das gelegentlich, aber es ist nicht so und es wird nie so sein. Sicher hätte ich die eine Woche Ruhe mehr als gebraucht. Für meine Frau wäre es sicher auch erholsamer gewesen. Aber ich kann nicht mit dem Gefühl leben, dass mir etwas durch die Lappen gehen könnte. Ich will mich im Nachhinein nicht ärgern, deshalb versuche ich direkt die optimale Lösung zu finden.
Zurück zu Beskorowany. Wie lief die Geschichte weiter?
Ja, Beskorowany war weg. Ich wollte Matthias Niederberger bekommen. Er war damals in Berlin als Ersatzgoalie unter Vertrag. Ich kenne Matthias sozusagen seit seiner Geburt. Ich habe mit seinem Vater Andreas zusammengespielt. Matthias spielte bei mir im Nachwuchs und ich habe seinen Werdegang immer verfolgt. Ich weiß, was der kann. Ich wollte dann unbedingt diesem talentierten jugnen deutschen Torhüter die Chance geben sich zu beweisen. Die Verpflichtung war nicht ganz einfach. Matthias Niederberger war in Toronto zu der Zeit. Der Vater und Manager Andreas war an der Südsee – Seychellen, glaube ich. Peter John Lee, der Manager der Eisbären, war in Los Angeles. Alle waren rund um die Welt verstreut. Da hat man mit der ganzen Zeitverschiebung seine Herausforderungen. Meine Frau ging am Strand entlang und ich ging zehn Meter dahinter mit dem Telefon in der Hand. Die Verhandlungen liefen insgesamt zwei Wochen. Das hat sich am Ende gelohnt, denn ich konnte Matthias verpflichten und er brachte letztlich eine Topleistung – er wurde 2016 sogar Torhüter des Jahres. Der Verzicht auf den Urlaub war dann kein Thema mehr.
Nach zwei erfolgreichen Spielzeit folgte die Saison 2016/17. Sie wurden mit der DEG Elfter. Playoffs verpasst, ein Punkt hinter Bremerhaven. Am Ende wurden Sie von ihren Aufgaben entbunden.
Im Nachhinein muss ich sagen, dass der ein oder andere Einkauf verkehrt war. Die Mannschaft hat nicht so zusammengepasst wie vorher. Da muss ein Rädchen ins andere greifen. Kenny Olimb z.B. war unglaublich wichtig gewesen. Ihn konnte ich nicht adäquat ersetzen. Er bringt so viel Power mit. Mein Ersatz für ihn hat nicht funktioniert. Ein kleines Rädchen mit großer Wirkung. Wie auch immer, ich habe in Düsseldorf immer gesagt, dass wir realistisch bleiben müssen. Das ist oft schwierig, gerade im Sport. Wenn du zwei Jahre erfolgreich bist, steigen die Erwartungen. Aber man darf auch nicht vergessen in welch einem Sumpf wir zuvor gesteckt hatten. Mein Ziel waren die Playoffs – irgendwie die Playoffs schaffen. Wir haben nicht so gut gespielt wie zuvor, aber wir bis zum Schluss im Rennen. Wir hätten es noch am letzten Spieltag schaffen können. Zwei Punkte fehlten – das ist nix! Ein Sieg mehr und wir wären dabei gewesen und dann spricht kein Mensch mehr von einer schlechten Saison. Wahrscheinlich würden wir dann gar nicht hier zusammen sitzen. Diese Doppelfunktion konnte ich nur mit dem Erfolg ausüben, weil es überwiegend gut lief. Der Rausch setzt positive Kraft frei. Misserfolg frisst Energie, der Druck wächst. Ich war ja für alles verantwortlich.
Sind Sie im Nachhinein enttäuscht über ihre Beurlaubung bei der DEG?
Ich finde es traurig, dass die erfolgreiche Zeit so schnell vergessen wurde. Wir hatten viel geschafft, was überhaupt nicht zu erwarten war. Wir hatten zwei Megajahre und sind im dritten Jahr knapp gescheitert... Dass ich im Nachhinein weder als Trainer noch als Sportlicher Leiter eine Rolle spielte, hat mich zutiefst enttäuscht. Ich hatte nach der dritten Saison gesagt, dass sich etwas ändern müsse. In der Doppelfunktion wäre es schlichtweg nicht mehr gegangen. Beides zu machen war zu viel. Ich sagte, ich stehe entweder als Trainer oder als Sportlicher Leiter zur Verfügung. Das wurde eingesehen, wir mussten uns personell erweitern. Ich musste in Düsseldorf um alles kämpfen, ob Torwart- oder Fitnesstrainer. Der Etat gab nicht viel her. Mein Assistent Tobi Abstreiter und ich haben in sportlicher Hinsicht alles gemacht. Einen Torwarttrainer hatten wir nur blockweise. In den gesamten drei Jahren war im Sommer kein Geschäfsführer da, der wurde nach der Saison immer gewechselt. Dadurch hatte ich noch mehr Arbeit. Diese ganze Mühe wurde schlussendlich über den Haufen geworfen.
Der Vertrag bei der DEG lief weiter. Ihnen wurde angeboten als Nachwuchskoordinator im Verein zu bleiben...
Ich sollte Bindeglied zwischen Profimannschaft und Nachwuchsverein sein, sozusagen Co-Co-Sportdirektor - das war kein wirkliches Job-Angebot. Das war nicht das, was ich mir erarbeitet hatte. Und das ist auch nicht das, was ich mir vorstelle.
Das gleicht einer öffentlichen Bloßstellung, oder nicht?
Das ist jetzt über ein Jahr her. Ich habe das alles im engen Kreis aufgearbeitet. Insgesamt war es eine wundervolle Zeit und möchte da nicht nachtreten. Ich besinne mich auf die schöne Zeit. Ich bin der DEG sehr dankbar, was Sie mir geschenkt hat. Peter Hohberg, um einen Namen zu nennen, war über die gesamte Zeit Gesellschafter und hatte den Mut mich zu fördern. Bis heute pflegen wir ein freundschaftliches Verhältnis. Respekt, was dieser Mann leistet. Auch Mikhael Ponomarev bin ich sehr dankbar. Ich habe viel zurückgegeben mit unserem Erfolg. 90 Prozent der Zeit war für mich erfolgreich und die will ich einfach mitnehmen und damit ist der Schlussstrich gezogen. Fertig.
Michael Sender