Wie ich es sehe... die Hockeyweb-Kolumne von Werner Nieleck
Entschuldigen Sie, lieber Leser, wenn ich heute einmal über etwas ganz
anderes schreibe als über die täglichen wichtigen oder unwichtigen meist
negativen Vorkommnisse. Mangel hieran haben wir, Gott sei´s geklagt, zwar
nicht, aber manchmal muss es auch gut sein mit der Meckerei, feiner Ironie oder
grobem Sarkasmus.
Heute war ich bei einem älteren Herrn und tauchte bei ihm zu Hause in
eine ganz andere (Eishockey-)Welt. Er war überhaupt nicht zu stoppen und redete
von der alten Zeit. Ich war ganz einfach ergriffen vom herben Zauber jener
dreißiger, vierziger (die wohl weniger, weil die Menschen in der Hauptsache mit
etwas anderes beschäftigt waren) und fünfziger Jahre. Was es da an
Erinnerungsgegenständen zu sehen und vor allen Dingen zu bewundern gab, war
einfach einmalig.
„Wir wollten die WM 1955 doch unbedingt im Westen haben“,
führte der ältere Herr mit glänzenden Augen aus. „Die Berliner waren
dabei, uns die Suppe zu versalzen. Denn die Stadien Köln und Düsseldorf hatten
keine Dächer, waren somit nur bedingt WM-tauglich. So mussten Krefeld (wo eine
Halle blitzschnell in Angriff genommen wurde) und Dortmund mit seiner
weltbekannten Westfalenhalle die Hauptrolle spielen, und wenn nicht der
Krefelder Boss Willi Münstermann prompt 100.000 DM (das war 1952 noch richtig
viel Kohle) quasi hingeblättert hätte, wäre es wohl nichts mit dem ersten
WM-Turnier im Westen geworden.
Er verschweigt dabei aber nicht, dass die Halle auch aus einem anderen
Grund gebaut wurde. „Es regnete oft, und so dauerten die Spiele mitunter
drei Stunden.“ Nun, die Kanadier revanchierten sich für die ein Jahr
zuvor erlittene Blamage, als sie den damaligen Neulingen aus der Sowjetunion
Titel und Schadenfreude überlassen mussten. Als sid-Korrespondent fungierte
1954 in Schweden übrigens ein gewisser Dr. Günter Sabetzki, der später eine
ganze Ära im internationalen Eishockey prägen sollte.
Vor einigen Monaten sprach ich denselben Herrn während eines
Länderspiels an. Dänemark war der Gegner, und dieser Ex-Akteur war, wie einige
seiner Mitstreiter auch, vom Vorstand (pardon, das heißt ja jetzt Aufsichtsrat)
des gastgebenden Vereins (pardon, der GmbH) eingeladen, um sich das Match
anzusehen. Ich fragte ihn, was er von diesem Gegner halte. „Ich weiß
nicht, Herr Nieleck, was ich von den Dänen halten soll. Ich wusste bis zur
Einladung gar nicht, dass in Dänemark Eishockey gespielt wird. Zu unserer Zeit
haben wir in Dänemark nie Station gemacht, wenn wir zu unseren Freundschaftsspielen
nach Schweden fuhren.“ Das war nicht irgendwie arrogant oder böse
gemeint, schätzte ich, das war schlicht und ergreifend eine Tatsache, die er,
nicht einmal süffisant lächelnd, zum Besten gab.
Jetzt war ich natürlich ein bisschen perplex. Haben die Dänen
aufgeholt, oder sind die Unseren in all den Jahren dermaßen abgesoffen? Das
kann doch nicht nur am fehlenden Schussglück liegen, wie es uns ein hoher
DEB-Funktionär weismachen wollte. Ich vermied es, ihn, den ehemaligen Nationalspieler,
zu fragen, was er von der letzten Weltmeisterschaft aus deutscher Sicht
gehalten hatte.
Ach ja, Doping war seinerzeit bereits ein Thema, wenn es auch noch
nicht so genannt wurde. Der ältere Herr konnte in diesem Zusammenhang kaum ein
Schmunzeln unterdrücken. „Wir betrieben diese Aufmunterung jedoch nicht
vor, sondern nach den Spielen“, versicherte er mir lächelnd. „Und
die Rationen wurden in Halbliterflaschen ausgegeben und nicht in Pillen- oder
Spritzenform. Ganz ehrlich: Ich glaube einfach nicht, dass meine
Nach-Nach-Nachfahren zu solchen Mitteln greifen. Das würde auf die Dauer auch
gar nicht gehen.“
Fällt mir in diesem Zusammenhang ein: Im Herbst wird Rüdiger Noack
Rentner, was ich mir gar nicht vorstellen kann. Ich freue mich jetzt schon auf
das Interview, denn spätestens dann werde ich wieder in die (gute) alte Zeit
abtauchen.