Schiedsrichterbeobachter machen mehr als Striche (1/3)Hockeyweb-Redakteur im Selbstversuch

Lesedauer: ca. 4 Minuten

Die Schiedsrichteransetzung am 26. Dezember 2011 machte das Gespann Ulpi Sicorschi, Andreas Flad und Johannes Adam zum „Hockeyweb-Fokus“ beim Tigerduell zwischen den Straubing Tigers und den Thomas Sabo Ice Tigers.

Ich halte mich für relativ regelsicher, denn die Arbeit bei Hockeyweb verlangt ohnehin, sich aktuelle Regeländerungen vor der Saison anzueignen. Zwischen Regeln kennen, Regeln verstehen und Regeln auslegen, kann jedoch ein langer Weg sein. Um gut vorbereitet zu sein, habe ich nochmal einige Regeln verinnerlicht und meine Nase in die Dokumente gesteckt.

Aus früheren Gesprächen mit dem DEB-Schiedsrichter Obmann Gerhard Lichtnecker war mir klar, es geht um deutlich mehr als um simple Strichlisten. Als ich dann jedoch Tage vor meinem fiktiven Einsatz die Unterlagen erhalten habe, war ich erst mal mit Arbeit eingedeckt.

Alleine die zu prüfenden Kriterien für ein Schiedsrichtergespann reihen sich auf nicht weniger als sechs DIN A4 Seiten aneinander. Hinzu kommen vier Bewertungsbögen im Drei-Mann-System, bzw. fünf Bögen im Vier-Mann-System. Diese setzten sich zusammen aus einem Bogen für die Strafen-Bewertung und einen Bogen für jeden Schiedsrichter auf dem Eis.

Bei einem Hauptschiedsrichter werden 17 Hauptkategorien, mit bis zu neun Unterpunkten abgefragt. Insgesamt 132 Beobachtungspunkte. Relativ schnell wurde mir beim einarbeiten klar, dass ich gar nicht alles ernsthaft bewerten kann, was ich bewerten soll. Natürlich gibt es auch relativ einfache Kriterien die auf den ersten Blick sogar ohne große Vorkenntnisse leicht abzuarbeiten sind, wie z.B. „Zeichengebung“. Doch wer würde vermuten, dass man das wiederum in sieben Unterpunkte aufgliedern kann?

Die Probleme ergeben sich schlichtweg daraus, dass ich selbst kein Schiedsrichter bin oder war. Denn wenn ich ehrlich bin, habe ich keine Ahnung wie ich Unterpunkt 102 bewerten soll, „Abstand zur Bande“.

Im Übrigen beginnt die Beobachtung bereits vor dem Spiel. Hier als Beispiel Punkt 72 „Mentale Vorbereitung“ oder Punkt 76 „Verhalten/Auftreten in der Umkleidekabine“. Viele werden jetzt sagen, dass es doch völlig egal ist, was in der Kabine passiert und dass die mal lieber ordentlich pfeifen sollen. Vergessen wird von denen die das denken, dass ein Spiel in der Kabine beginnt, auch das Spiel der Schiedsrichter. Wenn einer in der Kabine keinen guten Umgang mit den Kollegen hat, oder wenn er schon eine schlechte Stimmung mitgebracht hat, wie soll er dann erst auf dem Eis mit den Kollegen auskommen oder gar zusammenarbeiten?

Für die Linienrichter gibt es 16 Hauptkategorien, ebenfalls mit bis zu neun Unterpunkten, die insgesamt 122 zu überprüfende Punkte ergeben. Natürlich zugeschnitten auf die Aufgaben der Linesman, wie z.B. Punkt 60 „Einwurftechnik Allgemein“. Alleine zum Einwurf, also zu Bully, gibt es sieben Unterbewertungspunkte.

Vor Spielbeginn habe ich mich noch einmal mit Gerhard Lichtnecker, der beim Spiel als offizieller Schiedsrichterbeobachter anwesend war, getroffen und eine ca. 60 minütige Einweisung und Erklärung erhalten. Das meiste auf den Beurteilungsbögen ist selbsterklärend und relativ einfach verständlich. Insgesamt sehr übersichtlich und klar strukturiert.

Für viele wäre der Bogen „Schiedsrichter Spiel-Strafe Bewertung“ wahrscheinlich der wichtigste Bogen von allen. Hier wird jede Strafe vermerkt und beurteilt. Drittel, Zeit, Mannschaft, Rückennummer des bestraften Spielers, Anzahl der Strafminuten, Regelverstoß, in welche Zone der „Tatort“ war und für das Vier-Mann-System welcher Schiedsrichter die Strafe verhängte - und dann muss jede Strafe bewertet werden. Hier hat man vier Stufen zur Verfügung. Es geht von „sehr gut“, „normal“, „schlecht“ bis „keine Strafe“. Wobei letztes sozusagen eine Fehlentscheidung, bzw. einen überflüssigen Pfiff, markiert.

Festgehalten werden müssen jedoch auch die nicht gegeben Strafen. Also das von dem der Beobachter sagt, dss es war eine Strafe, der Schiedsrichter aber nicht. Das funktioniert im wesentlichen genau so, nur muss man sich hier entscheiden, warum es keine Strafe gab. Alles in Bezug auf den Schiedsrichter. Zur Verfügung stehen fünf Merkmale. „sieht es, keine Reaktion“, „schlechte Position“, „sieht nach dem Puck“, „gute Position, konnte es nicht sehen“ und „stellte nicht auf 5-3“.

Wie man sieht hat das mit Strichlisten nicht das Geringste zu tun. Im Gegenteil, die Bewertungs- und Beobachtungskriterien machen einen äußerst durchdachten Eindruck, und verlangen vom Beobachter volle Aufmerksamkeit über die 60 Spielminuten hinaus. Ein Spiel auf diese Weise zu sehen, war eine völlig neue und spannende Erfahrung. Denn man muss auf mehr achten als auf das Spiel, dass man natürlich auch nie aus den Augen verlieren darf. Man kann sich nicht nur auf die Schiedsrichter konzentrieren.

Noch mehr Aufmerksamkeit verlangen die Strafen. Man kann nicht einfach nur sagen `ja, das war eine Strafe´ oder `die Strafe hat er übersehen´. Man muss das auch bewerten und eventuell auch mit einer Bemerkung notieren. Oder man muss erkennen, warum der Schiedsrichter den Regelverstoß nicht gepfiffen oder gesehen hat. Und dafür bleiben innerhalb eines Unterbruches circa 15 Sekunden, denn dann läuft das Spiel schon wieder. Darüber hinaus gibt es auch in den Unterbrechungen einige Dinge, die man kontrollieren muss.

Immer wieder schauen wo die Linienrichter stehen, wo der Hauptschiedsrichter steht, bleibt der Schiedsrichter seiner Linie treu, wie verhält er sich während des Unterbruchs. Sucht der Schiedsrichter die Kommunikation, arbeiten die drei Schiedsrichter zusammen und suchen Blickkontakt. Man hat als Beobachter aber auch den Vorteil, dass man das sieht, was sich im Rücken der Schiedsrichter abspielt. Trotzdem, zwischendurch kommt man tatsächlich in Stress. Das bestätigt auch Gerhard Lichtnecker „Ja, da sind Sie nicht der Erste, der das so empfindet. Aber vieles davon ist Übungssache. Mit etwas Erfahrung weiß man, wann man wo hinsehen muss und kann.“ Der Mann spricht sich leicht. Ist er doch als einer von nur zwölf Schiedsrichtern in die „Hall of Fame Deutschland“ aufgenommen und blickt auf unzählige Spiele als Hauptschiedsrichter zurück.

Morgen im zweiten Teil: Der Ablauf und das "Drumherum


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