Mike Schmidt: In Hamburg sagt man „Tschüss“
Sonntag, 5. November 2006: 20. Spieltag der DEL, kurz vor
dem Spiel der Ice Tigers Nürnberg gegen die Hamburg Freezers. In der
Gästekabine tritt Mike Schmidt vor sein Team. Blass und mit nicht ganz
zitterfreier Stimme verkündet der Trainer, dass dies sein letzter Auftritt als
Headcoach der Hamburg Freezers sei. „Da hatte ich Bauchschmerzen“, sagte ein
Spieler, der nicht genannt werden möchte, „und die meisten anderen auch.“
Dass das Team, das ihren Coach zuvor in 10 Niederlagen
schmählich im Stich gelassen hat, anschließend den Angstgegner mit 7:4
niederkämpft und damit Freezers-Boss Capla zur Rücknahme des Rausschmisses
bewegt, ist eher eine bittere und unverständliche Fußnote in einem Drama, an
dessen Ende Schmidt nun doch als tragische Figur einsam und verlassen dasteht.
Nach genau 82 DEL-Spielen ist für Mike Schmidt die Zeit als
Headcoach der Hamburg Freezers vorbei. Die Bilanz ist ernüchternd: 43 Siege, 39
Niederlagen – zu wenig für die Ansprüche rund um die Hamburger Color-Line-Arena.
Zu wenig auch für die eigenen Ansprüche des Deutsch-Kanadiers, der in dieser
Saison gerne den markigen Werbesprüchen seines Chefs Capla gefolgt wäre: „Die
Nummer 1 ist besetzt!“ - was wohl soviel bedeuten sollte, dass die Freezers in
der Selbstwahrnehmung der große Meisterschaftskandidat waren.
Wenn jetzt beim Abschied von Mike Schmidt so manch einem der
Refrain von Heidi Kabel „In Hamburg sagt man Tschüss“ durch den Kopf geht, den
sie in der Color Line Arena so gerne bei Strafzeiten des Gegners spielen, dann
ist das bei vielen mehr Wehmut als Häme. Denn Häme wäre das Letzte, was Mike
Schmidt verdient hätte. Der 45jährige hat auch in seiner Zeit als Mann an der
Bande immer das abgeliefert, was er in seinen 714 Erstliga-Spielen als
Klasse-Verteidiger aufs Eis gelegt hat: Ehrliche Arbeit mit vollem Einsatz.
Loyal zur Organisation, loyal zum Team.
Die Gründe für das Schmidtsche Scheitern sind sicherlich
sehr vielschichtig und liegen nur zum Teil in seiner Person. „Kumpelhaftigkeit“
werfen Kritiker dem in der Tat oft jungenhaft wirkenden Coach vor. „Zu wenig
positive Ausstrahlung“ sagen andere über Schmidt, der nach Niederlagen seines
Teams oft wie ein geprügelter Hund da saß und mühsam nach Erklärungen suchte.
Eine Beschreibung, die bei wachsender Niederlagenserie der Freezers immer
zutreffender wurde. Vielleicht war es auch die offensichtliche Furcht vor
klaren und eindeutigen Entscheidungen. So wenig sich Schmidt auf einen Spieler
als Kapitän festlegen mochte, so wenig wollte er sich lange Zeit in der
Torwartfrage entscheiden. Ein klares Bekenntnis für den wieder genesenen
Rousson oder für den unerfahrenen Backup Karg hätte für Vorderleute und Goalie
die Chance bedeuten können, zu sich selbst und zueinander zu finden. So ging es
ein paar Mal hin und her, Auswechslungen wirkten wie Bestrafungen und die
Defensive der Hamburger findet bis heute keine Konstanz.
Aber ob hier Schmidt anders und vor allen Dingen besser
hätten handeln können, ist ebenso Spekulation, wie die Behauptung, Schmidt
trüge Schuld an der Zusammensetzung des Kaders. Tatsache ist, dass vor allen
Dingen die Abwehr planlos zusammengekauft wurde. Und Tatsache ist vor allem,
dass es in der Mannschaft keinerlei Hierarchie gibt. Kenner der Hamburger Szene
haben Zweifel, ob dieser Kader wirklich das Wunschteam des Mike Schmidt ist.
Oder ob HEC-Geschäftsführer Capla nicht, wie stets in den Jahren seit dem
Weggang von Max Fedra, den Kader nach seinen eigenen Vorstellungen
zusammengestellt hat. Wie auch immer, mit den zunehmend desolater werdenden
Verhältnissen ist Mike Schmidt an seine (Hamburger) Grenzen gestoßen. Aber
damit befindet sich der 45ährige in bester Gesellschaft. 2003 suchte der erste
Freezerscoach, Sean Simpson, trotz eines guten Angebots der HEC GmbH, von sich
aus das Weite, zwei Jahre später schasste Planet-Ice-Verwalter Capla dessen
Nachfolger Dave King.
Sonntag, 26. November 2006: Mit Schmidts Suspendierung hat
die Qual ein Ende. Zumindest für den Haupt-Betroffenen. Ob damit aber auch das
sportliche Desaster der Hamburg Freezers einen Schlusspunkt findet, muss sich
zeigen. Der neue Mann an der Bande bei den Freezers heißt Bill Stewart, den sie
in der Branche auch „Psycho-Bill“ nennen. Nach Monaten der Langeweile scheint
jetzt echte Spannung Einzug in die Color-Line-Arena zu halten. (jay)