Meisterliche Gelassenheit gegen Play-off-EuphorieEisbären Berlin

Rob Zepp - Torhüter der Eisbären - Foto: Stefanie Kovacevic www.stock4press.deRob Zepp - Torhüter der Eisbären - Foto: Stefanie Kovacevic www.stock4press.de
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Muss man zur Durchwanderung des üppig wuchernden Berliner Blätterwaldes einiges an Zeit aufwenden, kostet dagegen das Studium der Straubinger Lokalpresse nur wenige Minuten.

Jeder Autor, der sich dieser Tage mit dem bevorstehenden Eishockey-Leckerbissen beschäftigte, betonte selbstredend die eklatant großen Unterschiede zwischen den beiden DEL-Standorten Berlin und Straubing. Es war insofern höchste Zeit, auch einmal herauszustellen, dass Bayern und Berliner durchaus auch einiges eint. Beiden ist offenkundig nichts Menschliches fremd. Eine kleine Presseschau in Vorbereitung auf die am Donnerstag (19.30 Uhr; o2 World) startende Play-off-Halbfinalserie zwischen den Eisbären Berlin und den Straubing Tigers förderte insofern Aufschlussreiches zutage:

So war aus Straubings Leitblatt zu erfahren, dass die Laster der großen weiten Welt längst keinen Bogen mehr um das beschauliche niederbayerische Provinzstädtchen machen: Da wurde doch jüngst von der ortsansässigen Polizei tatsächlich eine mehr als 40 (!) Pflanzen umfassende Cannabis-“Plantage“ und Teile deren Ertrags entdeckt und sichergestellt! Und kürzlich erregte eine nächtliche Zusammenkunft junger Leute mit ihren getunten fahrbaren Untersätzen einiges an Aufsehen auf Straubings Straßen, die durch mehrere hundert Schaulustige beinahe Event-Charakter erreichte und somit zum presserelevanten Ereignis anwuchs. Ein nachvollziehbarer Anlass war diesem Auflauf indessen nicht zuzuordnen. Im Gegensatz zum letzten Autocorso, der sich nur wenige Tage zuvor ausgelassen seinen Weg durch Straubing bahnte: Die Tigers hatten mit dem vierten Sieg über Wolfsburg sensationell das Play-off-Halbfinale erreicht! - Lässt der Arena-DJ der o2 World irgendwann die „Friedrichshainhymne“ der Berliner Band „Die Wallerts“ erklingen, fühlt sich eventuell sogar der mit seiner Mannschaft in die Hauptstadt gereiste Straubinger Anhang ein wenig an Zuhause erinnert.

Sollten die Gäste keine Freude am hauptstädtischen Bier finden, sei an folgendes erinnert: Dem in Bayern zum Bierbrauer ausgebildeten Georg Leonard Hopf haben es die Berliner zu verdanken, dass Bier bayerischer Brauart auch weit nördlich des „Weißwurst-Äquators“ Verbreitung fand und sich seither größter Beliebtheit erfreut. Aber nicht nur in puncto Lebensfreude gibt es Anknüpfungspunkte zwischen beiden Regionen, auch die literarische Hochkultur gibt diesbezüglich einiges her: Nach bewegten Jahren mit vielen Ortsveränderungen traf 1854 der in Berlin geborene Dichter und Schriftsteller Paul Heyse im 150 Kilometer von Straubing entfernten München ein, wurde sesshaft und gelangte mit seinen Werken zu Weltruhm. Es war der bayerische Prinzregent Luitpold, der den Berliner Heyse in den Adelsstand erhob. Heyse wurde 1910 mit dem Literatur-Nobelpreis geehrt. Im Stadtbezirk Prenzlauer Berg, nahe des Velodrom, befindet sich in der Paul-Heyse-Straße eine Sporthalle, die eine Eisfläche beherbergt, auf der u.a. auch Mannschaften des heutigen Eisbären-Kooperationspartners FASS Berlin dem Puck hinterher jagten.

Dass das Versmaß auf den Rängen während der Spiele zwischen Eisbären und Tigers der Kunst des Dichters Konkurrenz machen können, darf getrost ausgeschlossen werden. Eher dürften von den Anhängern beider Lager die Unterschiede herausgekehrt werden. Die ersten kleinen Giftpfeile flogen im Vorfeld bereits im Internet hin und her. Außer Zweifel steht allerdings, dass der Anhang beiderseits zum nicht zu unterschätzenden Faktor avancieren kann. Und dabei sollte auch keine Rolle spielen, ob es auswärts oder in der jeweiligen Heimat zur Sache geht. Die Fans der Eisbären gelten seit jeher als reisefreudig und widmeten stimmgewaltig schon so manche Auswärts- in eine Heimpartie um. Die Straubinger Fans enterten im Viertelfinale die Wolfsburger Arena in Sonderzugstärke und peitschten ihre Mannschaft zum Erfolg. Für Ostermontag steht erneut ein Sonderzug bereit, dessen Ziel nun Berlin heißt. Die gut und gerne 700 Tickets unter die Leute zu bringen, stellte für die Organisatoren kein großes Problem dar.

Dass der in den letzten Jahren mühe- wie liebevoll modernisierten Eishalle am Pulverturm ob der begeisternden Heimauftritte der Mannschaft von Chefcoach Dan Ratushny beinahe das Dach weg flog und in der Gäubodenstadt sowieso emotionaler Ausnahmezustand herrscht, stellt sich als Frage erst gar nicht. Die Freude, der Stolz auf die erste Play-off-Qualifikation der Tigers ließ den berühmten Funken zwischen Eis und Zuschauerrängen hin und zurück springen – Eishockey-Euphorie pur! Berlins Torsteher Rob Zepp weiß, was ihn und seine Mannschaft in Straubing erwartet: „Die Atmosphäre ist wirklich einmalig. Jedes Mal, wenn ich dort gespielt habe, war es sehr laut und die Fans haben ihre Mannschaft dort richtig gepushed. Das sind sehr intensive Begegnungen, aber es macht eine Menge Spaß dort zu spielen.“ (eisbaeren.de)

Die Tigers-Fans spielen natürlich zu gern mit dem Klischee, in der hochmodernen o2 World herrsche nur eine „Klatschpappen-Atmosphäre“, ohne das Ursprüngliche ihrer eigenen Halle. Doch wer regelmäßig die Eisbären-Heimspiele besucht, weiß, dass die Stehplatzkurve als Stimmungszentrale den „Rest“ der Besucher mitzunehmen versteht. Der harte Kern Eisbärenfans, der 2008 aus dem altehrwürdigen Wellblechpalast mit hinüber in die neue Arena zog, hat nicht vergessen wie es ist, mit seiner Mannschaft den Weg von „unten“ nach „oben“ zu gehen. Doch herrscht unter den Fans der Eisbären inzwischen auch etwas, das sie selbst „meisterliche Gelassenheit“ nennen.

Besuchte man dieser Tage die Trainingseinheiten der Eisbären, vermittelte niemand unter den Protagonisten den Eindruck, vor den entfesselten Straubing Tigers in Schockstarre zu verfallen. Respekt vor dem, was die Niederbayern geleistet haben, um sich jetzt dem aktuellen Meister in den Weg zu stellen, wird aber schon artig bekundet. Noch einmal Rob Zepp: „Ich denke, dass das eine schwierige Serie wird. Straubing ist ein Team, das viel arbeitet und läuft. Sie haben in den Play-off in einen guten Rhythmus gefunden. Aber wir haben selbst eine gute Serie gespielt und dazu noch eine starke Saison, es wird spannend werden.“ Anders als in der Spielzeit 2009/10 marschierten die Eisbären nicht locker leicht durch die Vorrunde, der das ernüchternde frühe Play-off-Aus gegen Augsburg folgte. In dieser Saison hatten die Hauptstädter verletzungsbedingt mit vielen Problemen zu kämpfen. Die wurden dank qualitativ tiefem Kader und einem intakten Mannschaftsgeist aber bewältigt. Das physisch geprägte Spiel der Tigers wird die Mannschaft von Chefcoach Don Jackson ziemlich sicher nicht überraschen. Mit diesem Mittel versuchten im Viertelfinale schon die Kölner Haie gegen den Meister zu punkten und scheiterten. „Viel und gut Schlittschuh laufen und den Puck kontrollieren“, gab Jackson als wichtigste Maßgabe an seine Spieler aus, um den Gegner erfolgreich in den Griff zu bekommen. Ein weiterer Aspekt könnte sein, die Straubinger an ihre schlechten Gewohnheiten der Vorrunde zu erinnern, die sie als Team mit den meisten Strafzeiten abschlossen. Gegen Wolfsburg fanden die Ratushny-Schützlinge einen Weg, den Spieß umzudrehen und mehrheitlich die Niedersachsen das Sünderbänkchen aufsuchen lassen. Die Eisbären wollen den sechsten DEL-Titel, worüber Verteidiger Nick Angell gegenüber der B.Z. keinen Zweifel aufkommen ließ: „Wir sind nicht bereit, uns von Straubing im Halbfinale unseren Traum zerstören zu lassen.“


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