Kommentar: Die neue Regelauslegung

Landauf, landab ist kaum jemand einer anderen Meinung. Die neue,
strengere Regelauslegung ist eine tolle Sache. Das beeilen sich
jedenfalls viele Trainer zu sagen. Und auch Holger Gerstberger, der
DEL-Schiedsrichterbeauftragte, redet der neue Auslegung das Wort.
„Solange es alle wollen.“ Aber was wollen denn alle?
Spielberichtsbögen, auf denen die Strafenliste fünfmal so lang ist wie
die Torliste? Die Befürworter der neuen Linie könnten nun mit Recht
sagen: „Das ist in der Anfangsphase nun einmal so, bis sich die Spieler
daran gewöhnt haben.“ Das ist richtig – und dennoch gibt es drei
Punkte, die bislang übersehen worden sind.
1) Die neue Linie ist ein Kind der NHL. Doch in Nordamerikas Profiliga
pfeifen nicht drei Schiedsrichter – sondern vier. Und dann noch Profis.
Die „Null-Toleranz-Richtlinie“ sieht vor, dass jedes Haken, Halten und
Behinderung rigoros gepfiffen wird. Ein Hauptschiedsrichter alleine
kann jedoch nicht alles sehen. Und für das Vier-Mann-System fehlt dem
Deutschen Eishockey-Bund schlicht und ergreifend das Personal.
2) In der NHL spielen bessere Spieler. Das ist nun keine besonders
heikle Erkenntnis, doch in einem 20er-Kader eines Spiels sind
vielleicht 18 Spieler ohne Probleme in der Lage, ihr Spiel der neuen
Linie anzupassen. Die DEL wäre zwar gerne die zweitbeste Liga der Welt,
aber da hätten wir noch die American Hockey League, die russische, die
tschechiche, die schwedische, die finnische Liga. Habe ich jemanden
vergessen? Das heißt wiederum, das hier vielleicht zehn von 20 Spielern
in der Lage sind, sich anzupassen. Keine gute Quote.
3) Die deutschen Schiedsrichter. Bei allem Respekt vor dem Druck und
der Leistung der Unparteiischen. Fakt ist und bleibt, dass schon lange
vor der neuen Regelauslegung festzustellen war, dass Deutschland nicht
gerade mit vielen guten Schiris gesegnet ist. Beispiel Stefan Breiter.
Er hatte schon in der 2. Bundesliga der letzten Saison Licht, aber auch
viel Schatten. Beim Derby am Sonntag zwischen Duisburg und Krefeld war
bei ihm zu beobachten, was passiert, wenn ein durchschnittlicher Schiri
und die neue Linie aufeinandertreffen: 101 Strafminuten in einem fairen
Spiel. Und das, weil auch (weiterhin) faire Checks als Foul gepfiffen
wurden.
Ein weiteres Argument der Befürworter ist, dass die Fans sehen wollen,
wie technisch gute Spieler Tore schießen. Es ist ja okay, wenn jedes
Foul als Foul gepfiffen wird. Doch plötzlich ist die leiseste Berührung
Behinderung, plötzlich ist ein leichtes, ungewolltes Touchieren mit dem
Schläger ein Haken. Das fördert – auch das haben die letzten Spiele
gezeigt – Schwalben. Will ich viele Tore sehen? Ja. Will ich aber viele
Tore sehen, weil die Verteidiger nicht mehr eingreifen dürfen?
Vielleicht, weil ohnehin gerade viel Platz auf dem Eis, dafür viel
weniger Platz auf den Strafbänken ist? Nein! Auf keinen Fall! Stürmer
sollen sich ihre Tore erarbeiten. Eishockey ist Technik und
Schnelligkeit. Eishockey ist aber auch Härte. So wollen die Spieler
spielen, das wollen die Zuschauer auch sehen.
Fouls sollen als solche rigoros gepfiffen werden. Die neue Linie – so
wie sie sich in den ersten Spielen darstellt – ist aber des
Gut(gemeint)en zu viel!
Friedhelm Thelen