Jean-Marc Pelletier: Nach 22 Spielen erstmals wieder im Freezerstor
Genau 105 Minuten benötigt der ICE
903 vom Hamburger Dammtor bis zum
Berliner Hauptbahnhof. Zeit, die die Spieler der Hamburg Freezers auf dem Weg
zum fünften Viertelfinalspiel gegen die Eisbären Berlin je nach Naturell mit
Kartenspielen, Playstation, Musik hören oder wie im Fall Jean-Marc Pelletier
mit Lesen verbringen. „The Art of War“ lautet der Titel des Romans, in dem der 30jährige
Freezers-Goalie nun schon seit gut zwei Monaten schmökert. Genau solange ist „Pelle“,
wie die Hamburger Fans den 1,90 m großen Torhüter nennen, außer Gefecht. Erst
war es ein Innenbandanriss im Knie, der Pelletier aus der Bahn warf, dann die
Verpflichtung seines Kollegen und Konkurrenten Philippe Sauvé, wie Pelletier
franko-kanadischer Abstammung und Besitzer eines us-amerikanischen Passes.
In der Saison 1997/98 hatten die
beiden bereits schon einmal in einem Team gestanden. 40 Spiele hatte damals der
sieben Zentimeter kleinere Sauvé bei Rimouski Oceanic in der Quebec Major Junior Hockey League (QMJHL) bestritten,
34 Pelletier. In Hamburg war die Verteilung der Einsätze von Beginn an
ungleicher. Sauvé feierte einen gelungenen Einstand beim 4:2 gegen Straubing,
das Team setzte zu einem furiosen Endspurt in der Vorrunde an, und der 28jährige
Sauvé war fortan gesetzt. Auch als Jean-Marc Pelletier wieder fit war, ließ
Coach Bill Stewart keinen Zweifel daran, wer sein Mann war: Philippe Sauvé.
„Haben wir einen anderen?“, fragte der nicht gerade als feinfühlig bekannte
Übungsleiter öffentlich und verbannte Pelletier ohne ein Wort der Erklärung als
überzähligen Ausländer auf die Tribüne. Selbst als der Lette Redlihs krank war
und auf dem Spielberichtsbogen eine Ausländerstelle frei wurde, durfte
Pelletier nicht auf die Bank.
Statt auf den VIP-Plätzen hielt
sich der bescheidene Pelletier lieber mit seinem Buch unter dem Arm auf der
Pressetribüne auf. Mit seinem Roman kam der 30jährige dennoch nicht so richtig
weiter. Den unvermeidlichen Fragen über seinen Gemütszustand aber wich der
werdende Familienvater – Frau Anne erwartet im Mai ihr erstes Baby – immer
wieder geduldig lächelnd aus. Lediglich
einmal blitzte auf die Frage nach seiner sportlichen Zukunft so etwas wie ein kleiner
versteckter Hinweis auf seine geheimen Pläne auf. „Welche Stadt ist eigentlich
schöner, Hannover oder Nürnberg?“, fragte Pelletier einen Reporter, um gleich
aber richtig zu stellen, dass dies eine reine private Frage sei und mit
Eishockey nicht das Geringste zu tun habe. Was durchaus glaubwürdig ist.
Jean-Marc Pelletier hat sich in
den 15 Monaten, die er in Deutschland lebt, beachtliche Deutsch-Kenntnisse angeeignet.
Gespräche führt er am liebsten auf Deutsch: „Sonst lerne ich ja nichts dazu.“
Hamburg kennt Pelletier mittlerweile besser als so manch anderer zugereister
Hansestädter. Er war an Nord- und Ostsee, hat sich Lübeck und andere Städte in
der Umgebung angeschaut. Beim ersten Playoff-Spiel der Freezers in Berlin
überraschte Pelletier mit der – auf Deutsch gestellten – Frage, wie denn „diese
berühmte Kirche“ in der deutschen Hauptstadt hieße. Auf die Gegenfrage, ob er
die Gedächtniskirche meine, kam in akzentfreiem Deutsch zurück: „Ja, klar.
Gedächtniskirche, so heißt sie.“
Er ist ein bemerkenswerter
Mensch, engagiert sich im sozialen Bereich, liest deutsche Zeitungen und schaut
Tagesschau. „Ich will doch wissen, was die Menschen um mich herum bewegt.“ Und
wie so oft in den letzten Wochen wird er auf den 105 Minuten der Bahnfahrt nach
Berlin sein Buch immer wieder zur Hand nehmen, wie er das stets in den
Drittelpausen auf der Pressetribüne getan hat. Und wie so oft wird das Lesezeichen
kaum viele Seiten weiterwandern. Zahlreiche Dinge gehen dem dunkelhaarigen
Pelletier durch den Kopf.
Obwohl sein Vertrag bei den
Freezers noch ein Jahr lang läuft, ist seine Zukunft eher ungewiss. Dem Vernehmen
nach will der Klub ihm keine Steine in den Weg legen. Vielleicht denkt Pelletier
auf der Bahnfahrt nach Berlin aber auch nur an die letztjährigen Playoffs, als
er mit einer Fangquote von 92,84 Prozent aus elf Spielen bester Playoff-Goalie
der DEL war und erheblichen Anteil an der deutschen Meisterschaft der Adler aus
Mannheim hatte.
Mittwochabend im Berliner
Wellblechpalast wird Jean-Marc Pelletier zum ersten Mal seit 22 Spielen wieder
zwischen den Pfosten der Hamburg Freezers stehen. Nach den drei äußerst
schwachen Spielen seines Konkurrenten
Sauvé darf Pelletier doch noch einmal wider Erwarten ran. Sicherlich keine
dankbare Aufgabe, nachdem die Freezers sich in den letzten drei Begegnungen
gegen die Eisbären vor allen Dingen in der Abwehr reichlich desolat präsentiert
haben.
Pelletier hat sich in den letzten
Wochen gewissenhaft und intensiv auf diesen Moment vorbereitet, hat im Training
Sonderschichten geschoben und wenn die anderen längst unter der Dusche standen,
hat er noch seine Runden auf dem Eis gedreht.
Manch einer würde sich vor der Aufgabe am Mittwochabend drücken. Nicht
so Jean-Marc Pelletier: „Ich freue mich auf das Spiel. Wenn ich der Mannschaft
helfen kann, dann tue ich das gern.“ Er ist halt nicht nur ein feiner Kerl,
sondern auch ein Profi durch und durch. (jp - Foto by CityPress)