Fanproteste und ein verrücktes Spiel Berlin – Hamburg 6:5 n.V.

Beim Intro waren hauptsächlich die Trillerpfeifen der Fans zu hören und ihr Gesang: „Wir sind die Fans, die ihr nicht wollt!“ Die Arena-Beschallung hatte Mühe, sie zu übertönen. Eine Choreographie ließ die Fankurve in der Trauerfarbe schwarz erscheinen, Euro-Zeichen wurden hoch gehalten, über der Kurve prangte ein Spruchband: NUR DER EURO ZÄHLT. Als der Puck zum ersten Bully fiel, leerten sich die Ränge. Nicht nur im Stehplatzbereich, auch aus den Sitzplatzbereichen verließen die Leute zahlreich das Halleninnere und kehrten auch nicht wieder. Die Geräuschkulisse hatte nun beinahe etwas Gespenstisches: Das Kratzen der Kufen auf dem Eis, das Aneinanderkrachen der Schläger und die Rufe der Spieler waren auch in der letzten Reihe des Oberrangs so deutlich zu hören, als stünde man selbst mit auf dem Eis. Wer vermutet hatte, die Eisbärenfans könnten es mit ihrer Boykottdrohung – wegen der angekündigten massiven Preiserhöhungen für Dauerkarten – nicht ganz so ernst gemeint haben, war einem Irrtum erlegen. Auch wer darauf hoffte, der Zusammenhalt der Berliner Fangemeinde sei über die Jahre nach Umzug vom Wellblechpalast in die o2 World erodiert, wurde eines Besseren belehrt.
Der Protest war gut organisiert, für ausreichend Information in jedem einzelnen Block war per Flyer-Aktion gesorgt. Die Presse erhielt eine eigens für deren Vertreter formulierte Erklärung über Ursache und befürchtete Folgen der im Raum stehenden Preiserhöhungen. Die Mannschaft wurde bereits tags zuvor durch Mitglieder des Fanbeirates per Übergabe eines Briefs in deutscher und englischer Ausfertigung an Kapitän André Rankel über die bevorstehenden Aktionen in Kenntnis gesetzt. Kernsatz in Richtung Mannschaft: „Unser Protest richtet sich in keinster Weise gegen Euch!“ Ob alle Spieler diese Erklärung und die Anliegen ihrer Fans verstanden und Akzeptanz fanden, darf in Frage gestellt werden. Jedenfalls äußerte sich Eisbären-Stürmer Florian Busch im TV-Drittelpausen-Interview auf die Frage, ob es einen Einfluss auf ihn hätte, dass die Fans nicht da seien, wenig verständnisvoll: „Es ist mir kackegal. Meine Familie ist da und unterstützt mich.“ Die ersten zwanzig Minuten sprachen allerdings eine ganz andere Sprache. Die Hamburg Freezers nahmen durch Treffer von Garrett Festerling (3.), Eric Schneider (4.), Julian Jacobsen (13.) und in Überzahl Thomas Dolak (15.) eine 4:0-Führung mit in die erste Pause.
Eisbären-Kapitän Andrè Rankel beschrieb das Erlebte so: „Es war ein ganz komisches Spiel, wir haben lange gebraucht hinein zu finden. Wir wollten uns von dem, was draußen passiert, nicht beeinflussen lassen. Das hat nicht ganz geklappt. Es war gut, dass wir nach diesem ersten Drittel in der Kabine runterfahren konnten. Ab dem zweitem Drittel waren wir aber voll da.“ Die Eisbären fingen sich, nahmen nun den Kampf an, erhöhten sichtbar das Spieltempo und kamen so immer besser ins Spiel. Das führte zu Zählbarem auf der Anzeigetafel: Julian Talbot (21.) und Darin Olver (40.) verkürzten jeweils in Überzahl auf 2:4 aus Sicht der Hausherren. Nach Wiederbeginn im vermeintlichen Schlussdrittel gerieten die Hauptstädter plötzlich regelrecht ins Rollen: T.J. Mulock (45.), Mads Christensen (47.) und Jens Baxmann (48.) drehten die Partie binnen weniger Minuten in eine 5:4-Führung für die Eisbären. Unglaublich? Nicht wirklich, in Mannheim weiß man seit letztem Jahr ein Lied über die Comeback-Fähigkeiten der Eisbären zu singen. Die Hamburger, deren Handvoll mitgereister Fans bereits glaubte Morgenluft zu schnuppern, hätten gewarnt sein müssen. Eric Schneider (57.) erzwang in Überzahl mit seinem zweiten Treffer des Abends noch die Verlängerung. Das berühmt-berüchtigte Momentum hatte sich den Eisbären zugewandt: In der 71. Spielminute netzte TJ Mulock zum 6:5-Heimsieg für die Eisbären ein.
Freezers-Chefcoach Benoit Laporte zog ein durchwachsenes Fazit: „Ich bin stolz auf meine Mannschaft, sie hat sechzig Minuten gut gekämpft und hatten auch in der Verlängerung noch gute Chancen. Man kann aber nicht gegen Berlin gewinnen, wenn wir auf der Strafbank sitzen.“ Drei Tore erzielten die Eisbären in Überzahl, darunter Mulocks Siegtreffer. „Daraus werden wir lernen und am Freitag andere Freezers sehen“, kündigte Laporte für Spiel zwei eine Steigerung seiner Mannschaft an. Die Eisbären werden dort erneut auf einen Großteil ihrer Fans und deren Unterstützung verzichten müssen. Die Verantwortlichen in der Berliner Chefetage täten gut daran, ihrem Anhang einen entscheidenden Schritt entgegen zu kommen, soll die die Spirale der Konfrontation nicht unendlich drehen. Schon das erste Spiel zwischen Eisbären und Freezers, das nur bis zum ersten Bully 13.600 Zuschauer verfolgten, hätte eine andere als diese letztlich traurige Kulisse verdient gehabt.
Tore: 0:1 (3.) Festerling – Westcott/Flaake; 0:2 (4.) Schneider – Pettinger; 0:3 (13.) Jakobsen – Schubert; 0:4 (15.) Dolak – Collins/Oppenheimer PP; 1:4 (21.) Talbot – Olver/Tallackson PP; 2:4 (40.) Olver – Busch/Mulock, Tyson PP2; 3:4 (45.) Mulock, TJ – Rankel/Talbot; 4:4 (47.) Christensen – Mulock, Tyson/Locke; 5:4 (48.) Baxmann – Olver/Tallackson; 5:5 (57.) Schneider – Collins PP2; 6:5 (71.) Mulock, TJ – Braun, C./Rankel PP
Schiedsrichter: Aumüller/Piechaczek
Strafen: 6/18
Zuschauer: 13.600