Eisbären: "New Kids on Ice"
Nein, es dreht sich hier nicht um eine neue Boygroup aus den Talentsichtungswettbewerben, die bei diversen Fernsehsendern in den letzten Monaten wie Pilze nach dem warmen Regen aus dem Boden schossen. Es handelt sich lediglich um eine weitere Wortschöpfung, deren sich dieser Tage viele Autoren bedienen, um eine treffende Einleitung zu finden, wenn der aktuelle Kader des EHC Eisbären Berlin das Thema ist und über dessen jüngsten Erfolge berichtet werden soll.
So war bereits vom "Eisbären-Kindergarten" oder "Kids Club" zu lesen. Zuletzt, und wider den Erwartungen der meisten Experten, im Zusammenhang von sportlichen Erfolgen des Berliner DEL-Vertreters in der noch jungen Saison. Weder Fans, noch die Presse haben damit gerechnet, dass der EHC nach vier Spieltagen, zudem noch ungeschlagen, das Klassement der höchsten deutschen Spielklasse im Eishockey anführen würde.
Die Ereignisse rund um das Trainingslager im schwedischen Tyringe Ende August, sowie ein unsägliches Verletzungspech, führten zu großer Skepsis und gedämpften Erwartungen unter den Anhängern und Berichterstattern des schnellen Kufensports. In der vorigen Woche klärte sich endlich die Situation der 18 Tage in schwedischer U-Haft sitzenden Bradley Bergen und Yvon Corriveau auf, beide wurden vollständig von allen Vorwürfen entlastet und versuchen derzeit im Kreise ihrer Familien in die Normalität des Lebens zurück zu kehren, um in absehbarer Zeit wieder für die Eisbären auf Torejagd gehen zu können. Wann der erste Einsatz beider Spieler jedoch erfolgen wird, bleibt vorläufig ungewiss. Von Seiten des Eisbären-Managements wird ihnen zugebilligt, sich die Zeit zu nehmen, die beide dafür benötigen.
Zusätzlich zu Corriveau und Bergen gibt es noch die beiden Langzeitverletzten Sven Felski und Jeff Tomlinson. Die Stürmer kurieren noch immer die Nachwirkungen von Kreuzbandrissen aus. Vor allem für Defensivstürmer und Bully-König Tomlinson fallen die Heilungsprognosen derzeit recht ungünstig aus. Sogar eine Sportinvalidität wurde nicht völlig ausgeschlossen. Stürmerkollege Felski hingegen liegt im Plan seiner Rehabilitation, dennoch wird sein Einsatz nicht vor Dezember erwartet.
Als sei das noch nicht genug, verletzte sich auch noch Neu-Kapitän Ricard Persson derart schwer an der Hand, dass eine OP notwendig wurde. Seine Rückkehr wird in den nächsten vierzehn Tagen erwartet. Damit aber immer noch nicht genug. Am ersten Spieltag der neuen DEL-Spielzeit, Heimspiel gegen Aufsteiger Freiburg (8:2 Sieg für die Bären), zog sich Stürmer David Roberts einen Haarriss im Kniegelenk zu und wird voraussichtlich vier Wochen ausfallen. Eine Plessur von Marc Beaufait, zugezogen im selben Spiel, stellte sich zum Glück als nicht so kompliziert heraus, so dass er nur beim Auswärtsspiel seiner Kollegen in Kassel pausieren musste. Doch schon am vergangenen Sonntag ereilte die Berliner die nächste Hiobsbotschaft, Interims-Kapitän Steve Walker erlitt beim überraschenden 4:2-Auswärtssieg gegen die Kölner Haie eine leichte Leistenzerrung. Ausfallzeit ungewiss.
Eine Situation, in der wohl fast jeder Mitkonkurrent der Berliner ins Barmen und Fluchen verfallen würde. Beim EHC bleibt man dagegen relativ gelassen. Sicher, die Ausfälle schmerzen, doch nun tritt ein, was für einen viel späteren Zeitpunkt eingeplant war: Das noch konsequenter, als in der Vergangenheit, gefasste Nachwuchskonzept greift! Bereits im Juli diesen Jahres holten die Eisbären die langsam der Nachwuchs-Abteilung entwachsenden Spieler wie z.B. Tom Fiedler, Jens Baxmann, Harald Andreovsky, Daniar Dschunussow und Marvin Tepper, sowie einige ausgewiesene Talente anderer anerkannter Ausbildungszentren wie Tobias Draxinger (Rosenheim), Frank Hördler (Selb), Florian Busch (Klostersee), Lukas Lang (Nürnberg Young Tigers), André Rankel, Patrick Flynn (beide Berlin Capitals) und Matthias Foster (Mannheim) zu einem Sommertrainingslager zusammen. Vorgesehen war eigentlich, dass diese jungen Spieler den Stamm des Regionalligateams bilden, welches um den Aufstieg in eine noch zu schaffende Oberliga-Nord kämpfen soll. Das Ziel: Schaffung eines Farmteams auf ansprechendem Wettbewerbsniveau und unter logistisch günstigeren Voraussetzungen, als es die Kooperation mit dem Zweitligisten ETC Crimmitschau ermöglichte. Neben der doch relativ großen Entfernung zwischen der Heimat der Eispiraten in Westsachsen und der Hauptstadt, störte DEL-Coach Pierre Pagé vor allem das völlig andersartige Spielsystem, welches in Crimmitschau praktiziert wurde. Zudem steckte der ETC in der gesamten vergangenen Zweitligasaison im Abstiegskampf, was zu weiteren Interessenkonflikten zwischen den Kooperationspartnern führte.
Das Sommertraining der Young Guns erfolgte unter der Aufsicht von DEL-Co-Trainer Hartmut Nickel, Regio-Coach Harald Kuhnke, Manager Peter John Lee und nach seiner Rückkehr nach Berlin von Pierre Pagé selbst. Offensichtlich wurde den jungen Talenten während dieser harten Wochen das "Ehrgeiz-Gen" an der richtigen Stelle eingepflanzt, denn auch in der Folge rackerten die Jungs im Training wie auch in den Testspielen unermüdlich.
Mitten in der Vorbereitung auf die neue DEL-Spielzeit brach es dann über die Eisbären herein.
Jedes investierte Fünkchen Vertrauen musste bereits jetzt Früchte tragen.
Konnte der Sieg gegen die Freiburger Wölfe noch erwartet werden, war der Erfolg im Penaltyschießen nach aufgeholtem 0:3 Rückstand in Kassel schon als Überraschung zu bezeichnen. Nächster Prüfstein waren die sich in erstaunlicher Frühform befindlichen Panther aus Augsburg, doch auch denen wurde die volle Punktzahl abgerungen. Das Husarenstück lieferte die Pagé-Truppe aber am vergangenen Sonntag, als der von Nationaltrainer Hans Zach gecoachte Vizemeister, die Kölner Haie, in eigener Halle ebenfalls mit 4:2 bezwungen wurde. Zach kam danach nicht umhin die Aussage von Pagé zu bestätigen, wie gut und richtig diese Entwicklung für das deutsche Eishockey und die Nationalmannschaft sei.
Der kanadische Übungsleiter setzt die "Jungen Wilden" überwiegend an der Seite der verbliebenen erfahrenen Cracks, und punktuell sogar in Über- und Unterzahl ein. Dabei laufen die Burschen nicht nur mit, sondern mit Baxmann, Foster, Rankel und Busch trugen sich bereits vier der Talente als Torschützen und Assistenten in die Scorerlisten ein.
Auch Fehler sind den Eishockey-Eleven erlaubt, wie das Beispiel von Tobias Draxinger im Spiel gegen Augsburg beweist. Der Bayer im Bärendress vertändelte den Puck vorm eigenen Tor und der Augsburger Strakhov schob zur Führung für die Gäste ein. Draxinger, befragt nach der Reaktion seines Trainers, berichtete: "Er hat nur gesagt: Vergiss es! Und zwar schnell!"
Nach und nach werden die genesenen Stammspieler in den DEL-Kader zurückkehren. Um das ein oder andere junge Talent, welches jetzt für Furore sorgte, wird es ruhiger werden und die DEL-Einsatzzeiten kürzer. Doch vergessen, wie noch vor wenigen Jahren, werden sie bestimmt nicht. Zu sehr haben sie sich mit ihren Leistungen im Gedächtnis der Fans und Fachleute verewigt. Und sollten die sportlich Verantwortlichen der Eisbären ihr Nachwuchskonzept aus den Augen verlieren, in althergebrachte Mechanismen zurückverfallen, werden sich etliche Leute finden, welche mahnend den Zeigefinger zur Rückbesinnung erheben werden. Spätestens dann, wenn die einstigen Talente in den Kadern der Konkurrenz auftauchen. Eventuell sind dem ein oder anderen Eishockeyfreund die erfolgreichen Tage der "New Kids on Ice" ja Anlass genug, den Weg in den Wellblechpalast nicht nur an DEL-Spieltagen auf sich zu nehmen. Denn egal ob Kleinschüler, Knaben oder DNL, dort ist möglich, was sonst nur im Kino passiert: Man kann in die Zukunft sehen! (mac/ovk/REK)