Eisbären Berlin: Oh, wie ist das 10! 10 Gründe von Hockeyweb-Reporter Ronald Toplak für den zehnten DEL-Titel

Nach den Titeln 2021 und 2022 war die vergangene Spielzeit nur ein negativer Ausrutscher. Jetzt ist der Rekord-Champion der DEL wieder dort, wo er nach eigenem Anspruch hingehört. Ich begleite den Klub seit 32 Jahren. Bis 2013 habe ich beruflich jeden Titel mitgefeiert. Zwei Jahre später schickte mich die Gesundheit per Cross-Check auf die Strafbank. Die Leidenschaft aber blieb. Nun als Fan. Inzwischen auch wieder in der Arena. Meine zehn Gründe für den zehnten Triumph des EHC. Anders ausgedrückt: Oh, wie ist das 10!
1. Das Management um Stéphane Richer. Hielt nach dem desaströsen Verpassen der Play-offs in der vergangenen Horror-Saison an Chef-Trainer Serge Aubin fest, setzte auf Kontinuität an der Bande, folgte damit NICHT den ungeschriebenen Gesetzen des Geschäfts. Ein im Profisport mehr als ungewöhnliches Vorgehen. Statt Restart Vertragsverlängerung. Das Vertrauen zahlte sich aus. "Wir wissen alle, dass die letzte Saison schwierig war. Aber dieses Jahr sind meine Jungs vom ersten Tag an zurückgekommen, sie wollten zeigen, wer wir wirklich sind", zieht er ein zufriedenes Fazit. 'Wir sind in Berlin, wir sind hier, um zu gewinnen." Seitdem der Kanadier die Bären trainiert, haben sie keine Serie in der K.o.-Runde verloren.
2. An Torwart Jake Hildebrand schieden sich die Geister, wurde gezweifelt, nach seinem Wechsel aus Frankfurt zu den Eisbären. Doch die vielen Kritiker verstummten schnell. Durch seine überragenden Leistungen hat er maßgeblichen Anteil am Titel, sich seinen Spitznamen redlich verdient: Jake "Die Wand" Hildebrand! Unvergessen bleibt sein Monster-Safe im Viertelfinale gegen Mannheim. Er lag schon auf dem Eis, als Linden Vey am hinteren Pfosten eigentlich nur noch ins leere Tor einschieben musste. Der US-Amerikaner aber warf sich auf den Rücken, griff über mit der Fanghand und verhinderte doch noch den Einschlag. Ein Zauberer. Magier. Eben der Hexer. "Das brauchst du in den Play-offs", bringt es Aubin auf den Punkt.
3. Leo Pföderl. Mit seinem dritten Finaltor (146 km/h) und dem insgesamt elften Scorerpunkt der Serie ebnete der Olympia-Silbergewinner von 2018 maßgeblich den Weg zum Titel. Wurde als Top-Scorer (5/10) folgerichtig zum besten Spieler gewählt. "Jeden Tag denkst du nur Eishockey, Eishockey, Eishockey. Jetzt ist's vorbei - und du hast gewonnen. Das ist Wahnsinn."
4. Ty Ronning. Der kleinste und leichteste Spieler der Eisbären (1,75 Meter, 74 Kilogramm) war in der vierten Finalpartie der Größte. Aller guten Dinge sind Ty. Dreimal bezwang er Bremerhavens Kristers Gudlevskis auf dessen Stockhandseite, legte damit den roten Teppich für den ersten und letztlich entscheidenden Matchball aus. "Ty ist nicht der Größte, hat aber ein großes Herz", lobt Aubin den Knipser. Der bleibt wohltuend bescheiden: "Letztlich zählt nur das Team!" Insgesamt war er für acht Berliner Treffer in der K.o.-Runde verantwortlich. Niemand traf öfter. Nach der Vizemeisterschaft im vergangenen Jahr mit dem ERC Ingolstadt hat es - nach seinem für die Schanzer durchaus schmerzhaften Wechsel in die Hautpstadt - nun mit den Eisbären geklappt.
5. Kai Wissmann. Beendete das NHL-Abenteuer bei den Boston Bruins nach einem Jahr und kehrte aus Nordamerika nach Berlin zurück. Wurde als Nachfolger von Legende Frank Hördler Kapitän, zudem der Top-Verteidiger im Team. Steht gefühlt durchgehend auf dem Eis, beeindruckt durch seine Präsenz. Mister Zuverlässig. Kein Lautsprecher. Aber sein Wort hat Gewicht. "Es sind unglaubliche Glücksgefühle. In jeder Serie haben uns die Teams sehr, sehr viel abverlangt. Großen Respekt an Bremerhaven. Die Stimmung ist hier Wahnsinn. Die haben es sich verdient, die Vize-Meisterschaft zu feiern."
6. Jonas Müller. Der Dauerläufer. Lief allein in den Play-offs 92,03 Kilometer bis zum Titel. Eisbär Frederik Tiffels hat auf Platz 2 dieses Rankings schon knapp 10 Kilometer weniger auf dem Buckel (81,14), was immer noch überragend ist. Es folgen Thomas Schemitsch (77,18) und Pföderl (76,37). Wie wäre es mal mit dem Berlin-Marathon, Jungs?!
7. Marcel Noebels. Herz des Teams. Auf dem Eis. Und daneben. Nach dem zweiten Final-Spiel von einer Knie-Verletzung ausgebremst. "Schrecklich. Furchtbar!" Dennoch in den Play-offs zweitbester Scorer mit je 10 Vorlagen und vier Toren. "Jetzt sind wir nicht ohne Grund und zu Recht Deutscher Meister. Das war meine 10. Saison für die Eisbären. Kaum zu glauben, aber ich bin immer noch jung. Es ist schon etwas Besonderes. Es ist einiges entstanden in den letzten Jahren. Wir sind auf dem richtigen Pfad."
8. Die Fans. Leidenschaftlich. Kreativ. Treu. Die Uber-Arena war in der Hauptrunde (Schnitt: 13.804) und in den Play-offs (14.074) fast immer ausverkauft. Das ist Hingabe pur. Herausgestellt sei Holger "Holli" Wende, hauptamtlicher Fan-Betreuer des EHC. "Senior Manager Fan Relations, Security" heißt das neudeutsch formuliert. Fan-Beauftragter mag er nicht so gerne, Flüsterer passt besser. Lebt, atmet, fühlt die Hartmut-Nickel-Kurve. Und noch viel mehr. Ist praktisch rund um die Uhr im Einsatz. Sucht und findet zumeist immer eine Lösung.
9. Nach der Analyse der vergangenen Saison wurde der Kader umgebaut und mit Lean Bergmann, Frederik Tiffels, Tobias Eder und dem neuen Kapitän Kai Wissmann wichtige deutsche Leistungsträger verpflichtet. Dazu schlugen die Nordamerika-Profis wie eben der starke Torhüter Hildebrand blendend ein. Die Wandlung, weil die Hierarchie im Team entscheidend verändert wurde.
10. Nervenstärke. Das 2:1 am Sonntag in Bremerhaven war in den diesjährigen Play-offs bereits der dritte Sieg nach Verlängerung. Im Halbfinale wurden die Straubing Tigers zweimal in der Extraspielzeit bezwungen. Abgezockt. Cool. Eiskalt. Fazit Aubin: "Die Jungs sind mental top. Sie sind immer drangeblieben und haben einen Weg gefunden. Das ist eine sehr spezielle Truppe. Wie Brüder, wie in einer Familie mit unterschiedlichen Charakteren."
Noch ein paar Sätze zu Bremerhaven. Ich ziehe den Hut vor dieser Mannschaft. Als Underdog Hauptrundensieger, im Finale auf Augenhöhe. Ich fühle mich an die Eisbären der ersten DEL-Meistersaison 2005 erinnert. Eine verschworene Truppe. Die niemals aufgibt, auch spielerisch überzeugt, mit Thomas Popiesch einen charismatischen Trainer hat. Zudem ekstatische Fans. Selbst das Stadion wirkt allein schon wegen der Kapazität ein wenig wie der legendäre Hexenkessel Wellblechpalast. Ganz ehrlich, ich hätte als bekennender Eisbär auch Fischtown den Titel gegönnt. Das war ganz großer Sport. Danke dafür.