Die weltweite Eishockeyfamilie trauert
Hockeyweb stellte Lokomotive Jaroslawl noch am vergangenen Dienstag in seiner Saisonvorschau in die Reihe der Titelfavoriten. Innerhalb weniger Stunden hat sich alles geändert. Eine Mannschaft wurde binnen Sekunden ausgelöscht, ist unwiederbringlich verloren. Doch der Klub darf nicht sterben, nicht zuletzt um das Andenken an die Opfer dauerhaft zu bewahren.
Der Schock sitzt in der KHL – und in der übrigen Eishockeywelt – tief. Das Entsetzen stand den Fans in Ufa ins Gesicht geschrieben. Als die Nachricht vom Absturz des Flugzeugs mit der Mannschaft von Lokomotive Jaroslawl eintraf, waren Schock und Trauer greifbar. Das Spiel zwischen Meister Salawat Julajew Ufa und Atlant Mytischtschi wurde in der 13. Minute abgebrochen.
Das deutsche Eishockey hat mit Robert Dietrich einen Nationalspieler verloren. Mit ihm starben weitere herausragende Akteure.
Einer von ihnen ist Karel Rachunek, der am 23. Mai 2010 einer der Spieler Tschechiens war, die in Köln den WM-Pokal nach oben reckten. Der Kapitän der verunglückten Mannschaft sammelte weltweit Erfahrung. So wechselte er bereits 1999 nach Nordamerika und gehörte zunächst den Ottawa Senators aus; außerdem lief er für die New York Rangers und die New Jersey Devils aus. Bereits 2002 absolvierte er neun Spiele für Jaroslawl und kehrte während der Lockouts 2004/05 dorthin zurück. Nach zwei weiteren Jahren in der NHL zog es ihn erneut nach Russland. 2010 kam er von Dynamo Moskau nach Jaroslawl. Mit seiner Nationalmannschaft gewann er 2011 die Bronzemedaille bei der WM. Außerdem war der auch Inlinehockey-Nationalspieler seines Landes.
Auch in Schweden wird getrauert: Denn der Torhüter vom Lokomotive war Stefan Liv. 2006 gewann er mit seinem Heimatland Gold sowohl bei den Olympischen Spielen als auch bei der Weltmeisterschaft. 2004, 2008 und 2010 feierte er mit dem HV 71 Jönköping die schwedische Meisterschaft. 2002 wurde als bester Goalie der Elitserien und 2008 als bester Spieler der Liga ausgezeichnet. 2010 ging er erstmals in die KHL und spielte für Sibir Nowosibirsk. Anfang dieser Saison wurde er Mitglied der Mannschaft von Jaroslawl. Olexander Wjuchin (auch Viyukhin) war ukrainische Nationalkeeper, spielte seit 1992 in der höchsten russischen Liga und kam während der vergangenen Saison nach Jaroslawl.
Zur Verteidigung von Lokomotive Jaroslawl gehörten neben Robert Dietrich zahlreiche weitere herausragende Spieler. So gehörte Ruslan Salei zu den herausragendsten Spielern Weißrusslands. 979 Mal lief er in der NHL auf, spielte dabei für Anaheim, Florida, Colorado und in der vergangenen Saison für Detroit. 52 Tore erzielte er dabei, bereitete 165 weitere Treffer vor und konnte in der Defensive auch ordentlich zupacken. Mit den Mighty Ducks of Anaheim erreichte er 2002/03 das Stanley-Cup-Finale. Als die NHL-Saison 2004/05 ausfiel spielte er bei Ak Bars Kasan erstmals in Russland. Erst zu dieser Spielzeit kam er erneut nach Russland – zu Lokomotive Jaroslawl. Teemu Selänne beschrieb ihn einmal als einen seiner Lieblingsspieler.
Karlis Skrastins war lange Zeit Kapitän der lettischen Nationalmannschaft. 1995 spielte er erstmals im Ausland und wurde 1997 mit TPS Turku finnischer Vizemeister. Dabei wurden auch die NHL-Scouts auf den Abwehrrecken aufmerksam. In Nordamerika machte er sich schnell einen Namen, spielte 852 Mal in der NHL für Nashville, Colorado, Florida und bis zuletzt für die Dallas Stars. Auch er kam erst nach der vergangenen Spielzeit nach Jaroslawl. Zwölfmal nahm er mit Lettland an Weltmeisterschaften teil, gehörte zudem dreimal zum Olympia-Kader.
Neben den Stars spielten aber auch zahlreiche Spieler in der Lokomotive-Abwehr, die das Zeug dazu hatten, eine große Karriere zu starten, wie der 23-jährige Marat Kalimulin, der erst im vergangenen März zum besten KHL-Verteidigers des Monats ernannt wurde. Oder auch der 20-jährige Juri Urytschew, der bei der vergangenen U-20-Weltmeisterschaft in den USA die Goldmedaille mit Russland gewann. Die weiteren Verteidiger, die ihr Leben verloren, heißen Witali Anikejenko, Michail Balandin, Maxim Schuwalow und Pawel Trachanow.
Dass Lokomotive Jaroslawl dem Kreis der Titelfavoriten zugerechnet wurde, dafür war nicht zuletzt der ebenso talentiert wie prominent besetzte Sturm des Traditionsvereins verantwortlich. Mit Co-Kapitän Iwan Tkatschenko ging ein Sohn der Stadt Jaroslawl beim gestrigen Flugzeugunglück verloren. Von der Jugend an war er für Lokomotive aktiv, war nur in der Spielzeit 1996/97 (Spartak Moskaus Reserveteam) und von 1999 bis 2001 (Neftechimik Nischnekamsk) für andere Mannschaften im Einsatz. Danach trug er stets das Trikot seines Heimatklubs. Im Jahre 2002, nachdem er mit Lok russischer Meister geworden war, sicherten sich die Columbus Blue Jackets im NHL-Draft die Transferrechte am bodenständigen Russen. NHL-Eis betrat er aber nie. Mit der Sbornaja wurde er im selben Jahr Vizeweltmeister.
Neben all den jungen Spielern wie Daniil Sobtschenko (erst in diesem Sommer von den San José Sharks in Runde sechs gedraftet), Nikita Klijukin und Artjom Jartschuk, die wesentliche Teile oder aber sogar ihre gesamte Ausbildung in Jaroslawls hoch angesehener Nachwuchsschmiede erhielten, war die Fraktion der Legionäre ein weiteres Glanzstück des Kaders. Nicht weniger als die Erfahrung aus insgesamt 3.445 NHL-Spielen hatten Jaroslawls Legionäre vorzuweisen. Wie viele andere KHL-Klubs spielte die sportliche Leitung des dreifachen russischen Meisters (1997, 2002, 2003) aus Überzeugung die tschechisch-slowakische Karte. Herausragend dabei als konstant erfolgreicher Punktesammler gewiss der Slowake Pavol Demitra, der die Play-offs der vergangenen Saison als erfolgreichster Vorlagengeber abschloss. 16 Mal legte er zu Toren auf und erzielte zusätzlich noch sechs weitere selbst. Das slowakische Nationalteam führte er bei der diesjährigen WM als Kapitän aufs Eis. Seinem Engagement in Russland ging eine über 900 Spiele umfassende NHL-Karriere voraus, während dieser er über 800 Scorerpunkte sammelte. Im Jahre 2000 wurde er in Diensten der St. Louis Blues für sein vorbildliches Auftreten auf und neben Eis mit der Lady Byng Trophy geehrt. Die Liste an Ehrungen ließe sich noch um einige Positionen verlängern. Was am Ende zu sagen bleibt, ist, dass die Eishockeyfamilie mit Pavol Demitra ein wertvolles Mitglied verloren hat.
Nicht sehr viel anderes gibt es über den Tschechen Josef Vasicek zu sagen, der bei Lokomotive Jaroslawl das „A“ auf der Brust trug, was schon allein Auskunft über seine Wertschätzung gibt. Der Weltmeister 2005 mit seinem Heimatland und Stanley Cup-Sieger von 2006 mit den Carolina Hurricanes hatte 2008 bei Lokomotive Jaroslawl angeheuert und war bei deren Gründung einer der wirklich namhaften KHL-Legionäre der ersten Stunde.
Zwar ohne große NHL-Karriere, aber in seiner tschechischen Heimat und später in Russland trotzdem erfolgreicher Punkte- und Titelsammler war Jan Marek. In Berlin dürfte sein trickreiches und schnelles Spiel in guter Erinnerung sein, wo er noch mit Metallurg Magnitogorsk in der Champions Hockey League über das Eis der o2 World wieselte. Manch Eisbärenfan wünschte sich den spielstarken Tschechen hernach ins Trikot der Hauptstädter. 2006 wurde er tschechischer Meister mit Sparta Prag, in der Saison darauf kam der Titel des russischen Meisters mit Magnita hinzu und 2010 bei den Titelkämpfen in Deutschland konnte sich Jan Marek mit der Goldmedaille des Weltmeisters schmücken. Zudem verstarben die Stürmer Gennadi Tschurilow, Alexander Kaljanin, Andrei Kirjuchin, Sergei Ostaptschuk, Pawel Snurnizyn und Alexander Wassjunow.
Zum Trainerstab gehörte unter anderem Alexander Karpowzew (auch Karpovtsev), der 1994 mit den New York Rangers den Stanley-Cup gewann – und war damit einer der ersten vier Russen, die diese Trophäe gewannen. 1993 wurde er mit Russland Weltmeister. Igor Koroljow, ebenfalls Co-Trainer, hat noch bis 2010 selbst gespielt. Erst im Mai wurde Brad McCrimmon Cheftrainer von Lokomotive. Neben vielen Jahren als Co-Trainer in der NHL assistierte er in der Spielzeit 2004/05 auch Rich Chernomaz bei den Frankfurt Lions in der DEL. Acht weitere Mitglieder des Stabes und ebenso viele Crewmitglieder fanden am 7. September 2011 den Tod.
Nach den bisherigen Information hat mit Alexander Sisow ein Flugbegleiter überlebt und mit Alexander Galimow ein Spieler. Allerdings wird sein Zustand als äußerst ernst beschrieben. Nach diversen Meldungen sollen 80 bis 90 Prozent seiner Haut verbrannt sein.
Derweil trauern viele Menschen mit den Hinterbliebenen. Es gibt auch erste Gedanken darüber, wie dem Verein Lokomotive Jaroslawl geholfen werden soll. Im Raum steht ein Vorschlag, dass Spieler der übrigen 23 Clubs zu Jaroslawl transferiert werden sollen, damit der Verein weiterhin am Spielbetrieb der KHL teilnehmen kann – um damit auch der Verstorbenen zu gedenken.
Die Eishockeyfamilie weltweit ist am Nachmittag des 7. September 2011 um viele wertvolle Spieler und interessante Charaktere ärmer geworden, wir werden sie alle vermissen. Ihr Verlust ist jedoch vor allem für ihre Familien und Freunde unersetzlich. Ihnen gilt unsere respektvolle Anteilnahme.