Aus und vorbei - Das vorläufige Ende der Hamburger DEL-TageDenkwürdige Momente der Eishockeygeschichte
2016 gingen die Lichter aus bei den Hamburg Freezers (Foto: Stefanie Kovacevic - www.stock4press.de)Am 18.05.2016 gab die „Anschuetz Entertainment Group“ bekannt, keine DEL-Lizenz für die Freezers zu beantragen und die Hamburger somit in der Spielzeit 2016/17 nicht an den Start gehen zu lassen, sollte sich kein Käufer der Betriebsgesellschaft finden. Für die heimatverbundenen Eishockeyfans der eiskalten Sportart war damit schnell klar, dass die Chance einer Rettung des Klubs aufgrund des Minusgeschäftes Eishockey im deutschen Raum nur sehr schwer bis gar nicht zu realisieren war. Während man in Ländern wie Finnland, den USA oder auch Kanada das große Geld erwirtschaften kann, muss man sich in Deutschland häufig auf ein Minusgeschäft einstellen. Das Greifen nach dem berühmten „letzten Strohhalm“ war eine Crowdfunding-Aktion, initiiert von Hockey-Olympiasieger Moritz Fürste und unterstützenden Fans sowie der damals aktiven Mannschaft mit Kapitän Christoph Schubert an vorderster Front. Beachtliche 1,2 Mio. Euro wurden von allen Beteiligten zusammengetragen, welche im Vergleich zum 54 Mio. Euro hohem Bilanzverlust und der dringend notwendig auszugleichenden Budgetunterdeckung jedoch nur ein Tropfen auf den ebenso berühmten heißen Stein waren.
Verwundert darf man beim Blick über den Tellerrand in die Welt des restlichen Sports die Frage zulassen, warum es immer den in Hamburg beheimateten Sportvereinen an den wirtschaftlichen Kragen geht. Mit 1,84 Mio. Einwohnern sind im Stadtstaat unzählige geschichtsträchtige Sportvereine zu finden. Mit der seit 1816 existierenden „Hamburger Turnerschaft“ ist an einem der bedeutendsten Musical-Standorte Europas der am längsten durchgehend aktive Sportverein der Welt zu finden. Unzählige weitere Beispiele mit beeindruckender Geschichte wie etwa der „Hamburger und Germania Ruder Club“ von 1836 (zweitältester Ruder-Klub der Welt) oder der „Hamburger Polo Club“ von 1898 (ältester Polo-Klub Europas) sind bis heute Aushängeschilder der Stadt und prägten das sportliche Gesicht des Stadtstaates. Unterm Strich können diese Fakten jedoch nicht darüber hinweghelfen, dass die zweitgrößte Stadt Deutschlands im nationalen Mannschaftssport keine große Hausnummer mehr ist. Nach dem sportlichen Abstieg des städtischen Kronjuwels - dem Hamburger SV (1887), welcher als letztes durchgehend stets erstklassiges Gründungsmitglied der Fußball-Bundesliga im Jahr 2018 den bitteren Gang in Liga zwei antreten musste - hatte die hanseatische Großstadt bis zum kürzlich geglückten Aufstieg der Hamburg Towers (Basketball) in die BBL zwischenzeitlich keinen einzigen Vertreter mehr in den erstklassigen Sportarten und Ligen des Landes (Handball, Eishockey, Basketball, Fußball). Für einen der vor allem im Sportjournalismus entscheidendsten Medienstandorte im deutschsprachigen Raum eine kleine Katastrophe.
Kufensport in Hamburg geht mit einer eindrucksvollen Vergangenheit und einer Menge Gesprächsstoff einher. Zuerst sollte man beim Blick zurück in längst vergangene Jahre mit dem 1881 gegründetem „Hamburger Schlittschuhclub“ beginnen, bei welchem man heute vom ältesten Eislaufverein Deutschlands spricht. In Hamburger Kreisen wird in Bezug auf den HSC, der auf einige deutsche Meisterschaften seiner goldenen Tage stolz sein darf, auch nach über einem Jahrhundert noch vom „Besten Verein“ der Hansestadt gesprochen. Im Jahr 1968 schloss sich die Eishockey-Sparte des Hamburger SC der neu gegründeten Eishockey-Abteilung innerhalb des HSV an und trat somit auch seinen Startplatz in der neuen Regionalliga Nord an diesen ab. Bereits im ersten Jahr seines Bestehens gelang dem HSV der Aufstieg in die Oberliga, welche zum damaligen Zeitpunkt noch die 2. Liga im deutschen Eishockey darstellte. Über Jahre hinweg musste sich besagter, die Raute auf der Brust tragender Vertreter, des hanseatischen Eishockeys wie viele deutsche Vereine bereits vor und nach ihnen auch dem großen Schreckensgespenst „Geld“ beugen. Nach immer wieder aus eigener Kraft erreichten Aufstiegen und Erfolgen folgten postwendende Tiefschläge in Gestalt von finanziell bedingten Rückzügen, welche es dem Verein nie ermöglichten zur vollen Entfaltung seines Potenzials zu gelangen.
Im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts versuchten einige weitere heimisch gegründete Vereine Fuß in der Welt des Eishockeysports zu fassen. Ein weiterer erwähnenswerter und schlussendlich in Verbindung mit oben genanntem HSV stehender Vertreter ist der 1893 gegründete „Altonaer SV“. Während man im Jahr 1934 noch im Rahmen der von der NSDAP ausgetragenen „Winterkampfspiele“ in der Finalrunde um die deutsche Meisterschaft mitmischte, fand man sich nach Ende des Zweiten Weltkrieges aufgrund des durch den artikelführenden roten Fadens (Finanzen) nur noch in unterklassigen Ligen wieder und musste ebenfalls mit immer wiederkehrenden Zwangsabstiegen bzw. Rückzügen umgehen. Im Jahr 2003 tat man es dann dem Hamburger Schlittschuhclub gleich und schloss sich als Gesamtverein dem HSV an, wenngleich seit 2005 zwei gleichnamige Mannschaften im Seniorenbereich aktiv sind (4. Liga, Verbandsliga Nord, sowie 5. Liga, Landesliga).
Ein heute noch ganz junger Klub stellt den gegenwärtig erfolgreichsten und für die Zukunft vielversprechendsten Vertreter des Hamburger Eishockey dar. Die 1990 aus dem „Farmenser Turnverein“ gegründeten „Crocodiles Hamburg“ sind das, was dem heimattreuen Fan der Puckjäger als momentan einzige Alternative mit Hoffnung auf hochklassiges Eishockey zur Verfügung steht. Die Sternstunde der noch jungen Crocodiles fand im Jahr 2000 statt, als man versuchte, die DEL-Lizenz der ausgeschiedenen Starbulls Rosenheim zu kaufen, die von der DEL-Gesellschafterversammlung letztlich jedoch nicht erteilt wurde - ein damals herber Rückschlag und der bis heute letzte Ausflug Richtung „Bel Etage“ des deutschen Eishockeys. In den vergangenen Jahren hielt man sich überwiegend in der Oberliga Nord auf und versuchte den Klub, zuletzt äußerst erfolgreich, mit gesundem Wirtschaften im Rahmen der eigenen Möglichkeiten voran zu bringen. Selbst der Bau einer DEL 2- und DEL-tauglichen neuen Spielstätte wurde in den vergangenen Monaten immer wieder heiß diskutiert. Mit Erreichen des 30-jährigen Bestehens der Crocodiles Hamburg wurden zuletzt sogar die Planungen für ein Winter-Game im Millerntor-Stadion des FC St. Pauli aufgenommen. Als Duellant wurden die Hannover Indians für einen echten Nord-Gipfel angedacht, was bis dato jedoch noch nicht von offizieller Seite bestätigt wurde. An dieser Stelle schlägt der Finanz-Schreck erneut zu! Mit der über Deutschland hereingebrochenen Covid-19-Pandemie begannen beim Hamburger Oberligisten die Rechenaufgaben. Bei den Verantwortlichen nimmt man kein Blatt vor den Mund und spricht seither von Hürden mit den Namen „Existenzgefahr“, „Gehaltsverzicht“ und „nicht realisierbaren Geisterspielen“. Vorerst gehen die Planungen für die kommende Spielzeit und das bevorstehende fremdfinanzierte Winter Game uneingeschränkt weiter, auch wenn man das Worst-Case-Szenario eines freiwilligen Abstieges in die Regionalliga noch nicht ganz ausschließen kann.
In den Genuss der ganz großen Eishockeybühne kam man an der Elbe im Jahr 2002. Nach enttäuschenden und stagnierenden Besucherzahlen sowie finanzieller Schieflage entschied sich der Besitzer der in Bayerns Landeshauptstadt München spielenden Barons zu einem Umzug des Klubs nach Hamburg und bescherte den Norddeutschen mit den Freezers das erste Hamburger Profi-Eishockeyteam, welches im Oberhaus Deutschlands - der DEL - an den Start gehen sollte. Das neu gegründete Team des Stadtstaates wurde mit der Eröffnung der damals modernsten Multifunktionsarena Europas (zum damaligen Zeitpunkt die „Color Line Arena“) als neue Heimspielstätte sowie weit über den Erwartungen liegenden Zuschauerzahlen mit offenen Armen begrüßt. Die ersten Einträge in das persönliche Geschichtsbuch der Freezers waren auf ganzer Linie überzeugend und gaben allen Entscheidern des Umzugs recht. In den ersten drei Spielzeiten gelang nicht nur zwei Mal der Viertelfinal- und sogar einmal der Halbfinal-Einzug in den Playoffs um die deutsche Meisterschaft, sondern auch ein Zuschauerschnitt von überragenden und nicht zu erwartenden 10.713 Fans in der Premieren-Saison – sogar 12.055 in der Folgesaison. Besucherzahlen, welche die Hanseaten in der ersten Saison im europaweiten Vergleich direkt auf Platz drei hinter die noch besser besuchten Klubs des SC Bern (12.359) und den Kölner Haien (11.921) brachte. So rosarot ging es für die Freezers in den darauffolgenden Jahren jedoch nicht weiter. Zwar konnte man sich sportlich immer wieder für die Viertelfinalspiele qualifizieren, jedoch war das dem Hamburger Publikum nach den erfolgreichen Jahren zuvor entweder einfach zu wenig oder die Anfangs-Euphorie über das endlich in der Hansestadt stattfindende Erstliga-Eishockeys war bereits verflogen. Aus welchen Gründen auch immer, ging der Besucherschnitt bis zum Jahr 2008 auf ernüchternde 8.800 Zuschauer runter. Die Spielzeiten 2009/10 und 2010/11 gestalteten sich mit den Tabellenplätzen 11 und 14 zu einer Katastrophe für alle Beteiligten. Die Erwartungshaltung und vor allem die Möglichkeiten, die der Standort zu bieten hatte, waren hoch. Der niederschmetternde Rückgang der Zuschauer auf durchschnittlich nur noch 6993 Besucher konnte dies so nicht widerspiegeln.
Innerhalb weniger Jahre war also der Schnitt von 2004, als man noch den „Marketingpreis des Sports“ in der Kategorie „Sportveranstaltung“ erhielt, nicht mehr weit von einer Halbierung der Zahlen entfernt. Die erfolgreichste Saison erlebten die Hanseaten in der Spielzeit 2013/14, als man mit 19 Heimsiegen in Folge nicht nur den damaligen Liga-Rekord, sondern auch die Hauptrunden-Meisterschaft einfahren konnte. Diese überaus erfolgreiche Hauptrunde, gepaart mit dem Erreichen des Halbfinales, in dem man scheiterte, läutete, was zu dieser Zeit niemand ahnen konnte, den Weg auf den absteigenden Ast ein. Zwei weitere durchschnittliche Spielzeiten durften die Anhänger der Freezers noch erleben, ehe die Lichter in der Color Line Arena mit dem Lizenzverlust erloschen. Sicher hatten die Verantwortlichen wie auch die Geldgeber nach der Höhe der Investitionen und den
Möglichkeiten einer Stadt wie Hamburg den Anspruch auf nationale Erfolge und anhaltend hohen Besucherzahlen. Beides bekamen sie trotz vielen geflossenen Geldern und Verpflichtungen von bekannten Größen wie Rob Leask, Wayne Hynes oder auch David Wolf in der Hafenstadt nicht und so überließ man den Standort unvorbereiteter Dinge sich selbst, woran er quasi im selben Atemzug später zerbrach.
Unter dem Strich bleibt die Frage, warum der eiskalte Sport vor allem in Hamburg und dem hohen Norden nicht zu funktionieren scheint. Andere große Städte wie Köln, Berlin, Düsseldorf oder auch München sind heutzutage fester, nicht wegzudenkender Bestandteil der DEL. Wann sich ein Standort wie Frankfurt dazu gesellen wird, scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Geht man die Vertreter Norddeutschlands durch, so wird man in naher Zukunft, sollten Standorte wie Hannover oder Hamburg keinen spendablen Geldgeber aus dem Nichts finden, wohl nur in Bremerhaven erstklassiges Eishockey erleben können.
Was die Zukunft für die liebevoll genannte „Perle“ bereithält, steht heute nur in den Sternen – dass eine Stadt wie Hamburg dem deutschen Eishockey vor allem in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) gut zu Gesicht stehen würde, jedoch nicht. Muss man den Crocodiles noch einige Jahre zugestehen, auf den Einstieg eines Großinvestors oder Gönners hoffen oder passiert gänzlich ein Wunder, welches Hamburg in dickgedruckten Buchstaben zurück auf die eiskalte Landkarte der Republik schickt? Was es auch ist –Eishockey hat während seines nationalen Aufstieges des allgemeinen Interesses in den vergangenen Jahren sicher ein Plätzchen für die Hanseaten parat – wenn das Hamburger Eishockey sein Potenzial ausschöpft und auf gesunden Beinen aufgestellt wird. Zwingend erforderlich wäre für einen interessanten, gesunden Standort dann vor allem auch ein Fundament, bestehend aus gut gerüstetem Vorstand, einem konzeptionell stabil aufgestellten Nachwuchs und entsprechend hoher Führungs- und Sponsorenkraft.