Adler verschlafen erstes Drittel komplett - Heimniederlage gegen Scorpions

"So was Schlechtes hab ich noch nie gesehen, da fehlt mir ein Verb dafür", ärgerte sich Adler-Geschäftsführer Matthias Binder noch lange nach dem
Abpfiff des Spieles seines Teams gegen die Scorpions aus Hannover. Lange
Gesichter auch bei vielen anderen im Mannheimer Eisstadion: Das erste
Drittel gehörte eindeutig in die Rubrik "unterirdisch". Im zweiten
Abschnitt kamen die Mannen von Chefcoach Bill Stewart nochmal zurück, im
dritten versuchten sie verzweifelt, eine drohende Niederlage abzuwehren,
es reichte aber nur fürs Penaltyschießen, das die Gäste für sich
entschieden.
Die Begegnung begann bereits mit einem Knaller. 26 Sekunden waren
gespielt, da lief Bombis auf Shulmistra zu, schoss und traf. Mannheims
Goalie total perplex. Ähnlich erstaunt schien er in der fünften Minute
zu sein, als Nedved traf. Diese beiden Tore waren eigentliche
Glückstreffer, sie hätten vermieden werden können. Shulmistra verließ
anschließend das Gehäuse, obwohl er nun wirklich nicht alleine schuld
gewesen war. Das gesamte Team schien das erste Drittel vollkommen zu
verschlafen. Fehlpass folgte Fehlpass, nichts lief zusammen, die Fans
konnten es nicht fassen, was ihnen da geboten wurde. Oder besser, nicht
geboten, denn sowas hatte man lange nicht gesehen. In Überzahl schoss
zwar Roach auf Zuspiel von Edgerton den Anschlusstreffer in der siebten
Minute, doch das verbesserte die Spielfreude keineswegs. Seliger war
vollständig die Sicht von eigenen Leuten verdeckt, zudem prallte ein
Puck vom eigenen Verteidiger ab, als es Dolak gelang, den alten Abstand
wieder herzustellen. Seliger nach Spielende: "Ich habe nichts gesehen,
ich habe nur gehört, dass der Puck abprallte." Seine Vorderleute zeigten
auch hier nicht eben Klasse. Pfiffe begleiteten das Team in die Kabine.
Nun war die bange Frage: Fangen sie sich oder geht es weiter munter
bergab? Sie fingen sich und gestalteten das zweite Drittel spannend.
Corbet versenkte den Puck in der 21. Minute ganz lässig im Tor hinter
Kauhanen, der im übrigen einen riesigen Tag hatte. Jubel brandete auf,
als in der 29. Minute Junker traf, auf Zuspiel von Plante und Goc.
Zwischenzeitlich hatten sich turbulente Szenen vor Kauhanens Tor
abgespielt, Podollan vergab ebenso wie Plante oder Kennedy. Das rächte
sich, in der 32. Minute schoss Jakobsson, der von Oberg und Augusta
bedient worden war, das vierte Tor für Hannover. Eine kalte Dusche im
alten Friedrichspark. Die Fans hielten trotzdem zu ihrem Team und
feuerten es an. Man war dankbar für das Aufbäumen, das nach dem ersten
Spielabschnitt kaum einer mehr erwartet hatte.
Mit Gewalt versuchten die Mannheimer im Schlussdrittel, das Spiel
umzubiegen. Kauhanen verhinderte ein ums andere Mal Tore, vereitelte
Chancen, brachte die Adler schier zur Verzweiflung. Im Gegenzug zeigte
Seliger Klasse, fuhr einige "big saves" ein und entschied in allen
Situationen blitzschnell goldrichtig. Joseph, auf Vorlage von Podollan
und Hock schaffte in der 46. Minute den Ausgleich. Dabei blieb es auch,
Penaltyschießen war angesagt. Das entschieden die Scorpions für sich.
Bei den Adlern traf nur einer: Robert Hock, der eine wirkliche
Verstärkung für Mannheims Team seit dieser Saison ist.
Gunnar Leidborg, Hannovers sympathischer Trainer, bekannte bei der
Pressekonferenz: "Wir sind sehr, sehr froh, dass wir in Mannheim zwei
Punkte geholt haben. Ich denke, im ersten Drittel haben wir richtig gut
gespielt. Im zweiten Drittel waren wir dann zu passiv, wir hatten
eigentlich gut defensiv spielen wollen, aber Mannheim hat hervorragende
Stürmer. Kauhanen hat uns zu diesem Zeitpunkt im Spiel gehalten. Für uns
sind diese Punkte ungemein wichtig, wir kämpfen ums Überleben."
Bill Stewart zeigte sich "stinksauer", forderte Leidenschaft auch in
den Spielen gegen vermeintlich schwächere Teams. Wenn man nach ein paar
Minuten mit zwei Toren hinten läge, "ist es sehr, sehr schwer,
zurückzukommen." Auch Stewart sah in Kauhanen den Matchwinner. "Im
Grunde", sinnierte Mannheims Coach, "haben wir Glück gehabt, noch einen
Punkt zu bekommen".
Ipo Kauhanen, der Vielgelobte, gab sich ganz bescheiden im
Kabinenbereich. Eigentlich, meinte er, habe jeder wirkliche Angriff
seiner Scorpions in einem Tor geendet. Nach der guten Erfahrung beim
letzten Mal habe man gewusst, dass die Adler zu schlagen seien. Das sei
im übrigen das erste Penalty-Schießen in dieser Saison, das die
Scorpions gewonnen hätten, zwei besonders wertvolle Punkte also. Der
Goalie sah seine Verteidiger als sehr gut im ersten Drittel, ansonsten
habe man halt auch viel Glück gehabt. Seine eigene Klasseleistung kehrte
er dabei bewusst unter den Teppich.
Marc Seliger zeigte große Sympathie für seinen Kollegen Shulmistra,
der habe keine Schuld gehabt an diesen unglücklichen ersten Treffern,
verteidigte der deutsche Goalie, den viele in Mannheim inzwischen als
die Nummer eins sehen, seinen kanadischen Mitbewerber. "Das waren dumme
Tore", sagte Seliger, "es war nicht gegen Shulmistra gerichtet, dass er
raus musste, man wollte einfach Ruhe ins Spiel bringen". Einen Profi wie
Richard werfe so etwas sicherlich nicht aus der Bahn und er selber sei
der Meinung, "du musst immer bereit sein reinzugehen, egal, ob in der
vierten oder der 44. Minute." Insofern sei er keineswegs kalt getroffen
worden.
In der Kabine habe man in der ersten Pause miteinander geredet, jedem
sei klar gewesen, dass man das erste Drittel total verpennt habe, sagte
Seliger zu Hockeyweb "und dann hat sich jeder am Riemen gerissen." Lob
sprach er dem gegnerischen Goalie aus: "Kauhanen hatte einen sehr guten
Tag." Für Seliger war es wichtig, dass sein Team nach dem ersten
Spielabschnitt Charakter gezeigt habe und zurückgekommen sei. Er hoffe,
fügte der Torwart noch an, in Mannheim bleiben zu können. Gespräche gäbe
es, es wäre schön, wenn alles zur gegenseitigen Zufriedenheit abliefe.
Chris Joseph ärgerte sich, dass man "zu spät aufgewacht" sei nach dem
ersten Drittel. Die Diskussion um Verträge, auch um die der Trainer,
halte man von sich weg, betonte der Verteidiger. "Nach der Geschichte
mit Ustorf und Racine ist uns ganz klar geworden, dass wir nichts
bewirken können. Wir können nur spielen, das ist das einzige, worüber
wir Kontrolle haben." Francois Groleau hat derzeit vor allem eine
eventuelle Vertragsverlängerung im Hinterkopf: "Ich will immer alles
geben", sagte er, "ich will mich mit allen Kräften einsetzen, um einen
Vertrag in Mannheim zu bekommen." Er hoffe, dass man bald mit ihm
verhandle, "ich hänge an diesem Team und an dieser Stadt." Mit Freude
hörte der Frankokanadier, dass sich sowohl Gesellschafter Daniel Hopp
als auch Manager Marcus Kuhl in der letzten Zeit sehr positiv über ihn
geäußert hätten.
Tomas Martinec, der ein Spiel lang pausieren musste wegen eines Fouls,
gab zu, dass es sehr schwer gewesen sei, zusehen zu müssen. Liebend
gerne hätte er eingegriffen, um seinem Team zum Sieg zu verhelfen.
Robert Hock stand auch nach dem Duschen noch ein wenig fassungslos vor
der Nicht-Leistung des ersten Drittels: "Wenn ich eine Antwort hätte,
warum es so war, würde ich sie sagen." Er wisse nur, dass so ziemlich
alles schiefgelaufen wäre, was nur schieflaufen konnte. Das erste Tor
habe ein wenig die Luft rausgenommen, aber auch das sei eigentlich keine
Erklärung. Gut fand Hock indes, dass sich die Spieler in der
Drittelpause gegenseitig aufgerichtet hätten und zurückgekommen seien.
Ihn persönlich schmerze eine solche Niederlage übrigens sehr, "wir
hätten mehr Chancen verwerten müssen, im zweiten und dritten Drittel
waren wir eindeutig besser." Es sei merkwürdig, meinte der Bayer, gegen
die guten Teams gewänne man, gegen diejenigen, die weiter unten in der
Liga stünden, nicht. Obwohl jeder wisse, dass die Liga so eng sei wie
schon lange nicht mehr, jeder könne jeden schlagen.
Im Umfeld des Spieles wurde heftig spekuliert. Wie sieht es aus in der
Trainerfrage? Gerüchte machten die Runde, Bill Stewart habe nochmal
verlängert, die Familie Hopp stünde hinter ihm. Von
Meinungsverschiedenheiten zwischen Eigner und Manager war die Rede, doch
Daniel Hopp winkte nur ab: "Wir diskutieren miteinander, aber das tun
wir immer. Es ist aber richtig, dass wir derzeit besonders viel
miteinander reden." In der kommenden Woche wolle man mit einer
Entscheidung an die Öffentlichkeit treten. Im Hintergrund wurde
kolportiert, dass am Dienstag Nägel mit Köpfen gemacht würden. Bill
Stewart, so munkelten Insider, würde wohl kaum bleiben. Ob aber Helmut
de Raaf, dem viele zutrauen, neue Wege zu gehen und Impulse fürs
deutsche Eishockey im allgemeinen zu geben, vor allem auch im Hinblick
auf den Umzug in die neue Arena im Jahre 2005, der neue Mann hinter der
Bande sein wird, steht noch in den Sternen. Tatsache ist bislang
lediglich, dass eine Mitteilung der Gesellschafter und der sportlichen
Leitung bevorsteht. Die Leistung beim Spiel gegen die Scorpions soll
dabei nicht ausschlaggebend sein. Für Daniel Hopp spielen
weitreichendere Überlegen eine weitaus größere Rolle als
Momentaufnahmen, wie er Hockeyweb gegenüber betonte. (Angelika von Bülow)