Das große WM-Fazit

Die Tage von Jönköping, Karlstad und Göteborg sind vorbei. Es war ein seltsames und aus dem allgemeinen Rahmen herausfallendes Turnier: Eine von den allerwenigsten Experten vorhergesagte Finalpaarung auf der Haben-, relativ leere Ränge auf der Sollseite kennzeichneten die gerade zu Ende gegangene WM. Wer hatte schon damit gerechnet, dass die Slowaken zum ersten Mal in ihrer noch jungen selbstständigen Eishockey-Geschichte den Titel an die Donau und in die Tatra bringen würden, wer hatte schon damit gerechnet, dass lediglich das Endspiel im doch so eishockeybegeisterten Schweden ausverkauft sein würde? Erstmalig landete in einem internationalen Vergleich der Senioren ein slowakisches Team vor jenem der tschechischen Brudernation. Genau aus diesem Grund wird das heurige Rendezvous der Großen (“A-WM” heißt das Turnier ja aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen nicht mehr), in die Eishockey-Geschichte eingehen. Unvergessen zum Beispiel bleibt der 9. Mai, der Tag der Halbfinalspiele, die beide erst nach Penaltyschießen entschieden wurden. War das Match der Russen gegen die Finnen noch mehr oder weniger Eishockeyschach und kam, was die Emotionen anbelangt, der Wirkung einer Schlaftablette gleich, so ging in der zweiten Partie, jener der Gastgeber gegen die Slowaken, so richtig “die Post ab”. Tolle Torszenen hüben wie drüben und phantastische Paraden der Goalies hielten nicht nur Fans und Journalisten der beteiligten Teams, sondern auch die neutralen Zuschauer in Atem. Es war der Tag des gerade ´mal 23-jährigen slowakischen Keepers Jan Lasak von den Nashville Predators, der x-mal auch sogenannte Unhaltbare nicht einschlagen ließ. Der alte Schweden-Fuchs Michael Nylander (Chicago Blackhawks) war so entnervt, dass er in einer vielversprechenden Position lieber einem schlechter postierten Nebenmann die Scheibe zuschob, als es (noch einmal) selbst zu versuchen.
Auch wenn Schwedens Verbandskapitän Hardy Nilsson bei der letzten Pressekonferenz betonte, dass die Freude über Bronze die Enttäuschung über das verlorene Halbfinalmatch überstieg, bleibt aus Sicht der Gastgeber nach wie vor mehr als ein fader Geschmack zurück. Wieder wurde die für Tre Kronor so schmerzliche Tradition fortgeführt, nach welcher der Gewinn des Weltmeistertitels im eigenen Land ein bisher unerreichbares Phantom bleibt, dem es frühestens 2007 wieder nachzujagen gilt. In der Schweiz 1953, der Sowjetunion 1957, den USA 1962, Österreich 1987, der Tschechoslowakei 1992, Finnland 1997 (welch ein Triumph!) und wiederum der Schweiz 1998 gelang es den Blau-Gelben, sich mit Weltmeisterehren zu schmücken. Eine steife Brise aus dem heimischen Blätterwald wehte Nilsson, der in Deutschland dreimal mit Köln, jeweils einmal mit Düsseldorf und München Champion wurde, ins Gesicht. Die Boulevardzeitung “Aftonbladet” stellte sogar eine Statistik auf, nach welcher Nilsson, der seinerzeit immerhin den schwedischen Titel mit Djurgarden Stockholm gewann, der schlechteste Trainer seit Mitte der fünfziger Jahre ist.
Aus (nicht nur) deutscher Sicht war es verwunderlich, dass beide Paarungen gegen den Erzrivalen Finnland nicht einmal eine fünfstellige Besucherzahl anzogen. War dies für die Bronzepartie (sollte man ohnehin abschaffen, denn wer tritt schon gern noch einmal an, wenn er am Vortag aus dem Turnier geflogen ist) noch einigermaßen verständlich, so galt dies nicht für die Qualifikationsrunde. Übrigens, man kann trefflich darüber streiten, ob eine Eishockey-WM in jedem Jahr (auch im olympischen) durchgeführt werden soll. Aber dass die Teams ohne die entsprechende Motivation an den Start gehen, kann man wohl keinem einzelnen Aktiven nachsagen. Wer die Bilder am Halbfinaltag mit den Entscheidungen nach finalem Show-down mit den jubelnden Russen und Slowaken gesehen hat, wurde eines Besseren belehrt, vom Finale mit seinem dramatischen Verlauf und des normalerweise nicht so spektakulären Bronzespiels ganz zu schweigen.
Die Arbeitsbedingungen für die Journalisten waren durch die Bank gut zu nennen. Kostenlose Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel waren ebenso willkommen wie die Tatsache, dass in der sogenannten Mixed Zone die “gewünschten Cracks” Rede und Antwort standen; auch die Internetzugänge waren in genügendem Maße vorhanden. Die Computer, der voher in Jönköping und Karlstad ihren Dienst versahen, wurden für die Schlussphase des Turniers nach Göteborg geschafft. Kaum etwas erinnerte an die Bedingungen in Deutschland vom letzten Jahr. Mit seiner Kritik an die Adresse der letzten Ausrichter fand AIPS-Mitglied Anton Waldmann offene Ohren. Natürlich war nicht alles Gold, was im hohen Norden glänzte. Die Spielberichte, auf denen man so wunderbar das Spiel selbst statistisch mitverfolgen kann, wurden nur auf Wunsch ausgedruckt. Bei der letzten B-WM, Verzeihung, der Weltmeisterschaft Divsion I, Gruppe A im niederländischen Eindhoven, lagen sie v o r den jeweiligen Spielen aus. Und Fax sowie Telefon gab es praktisch überhaupt nicht. Somit schloss sich der Kreis, was das Faxen anbelangte. Bei der WM 1989 in Stockholm noch als Neuheit gepriesen, war diese Einrichtung nur 13 Jahre später überhaupt nicht mehr vorhanden.
Last but not least soll an die Fans gedacht werden. Sie wussten wieder einmal (wie alle anderen auch) nicht, wo ihre Lieblinge nach der ersten Runde spielen. Diese Ungewissheit war mit vielen Problemen logistischer Art verbunden. Dazu kamen noch die immensen Entfernungen zwischen den Spielorten. Für eine PKW-Fahrt von Göteborg nach Karlstad (250 km) brauchte man immerhin dreieinhalb Stunden. Wenigstens sind in Finnland im nächsten Jahr die Entfernungen geringer, aber der Idealfall ist immer noch, wenn in einer einzigen Stadt das Turnier durchgeführt wird. Gute Beispiele boten in jüngster Vergangenheit Wien und St. Petersburg, während sich die Älteren sicherlich noch an die Turniere 1985 von Prag und ein Jahr später von Moskau erinnern. Vielleicht sollte den Fans doch ein höherer Stellenwert eingeräumt werden, als er ihnen in den letzten Jahren zukam.